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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Rainer Christoph Schwinges, Das Leben des Kölner Magisters Gerhard von Wieringen (1451 bis nach 1501). Mit einer Edition seines Notiz- und Rechnungsbuches. Übersetzung aus dem Lateinischen von Helena Müller (Repertorium Academicum Germanicum Forschungen 5) Zürich 2023, vdf Hochschulverlag, 270 S., 14 Abb., ISBN 978-3-7281-4162-0, DOI 10.3218/4162-0. – Sch. setzt sich mit einer faszinierenden Quelle auseinander: Der seit 1477 in Jülich wirkende Geistliche Gerhard von der niederländischen Insel Wieringen führte seit seinen Studienjahren ein Notizbuch, in dem er hauptsächlich außerordentliche Einnahmen und Ausgaben verzeichnete, eher thematisch als chronologisch geordnet, darunter immer wieder auch persönliche Notizen. Dieses Heft ist im Historischen Archiv der Stadt Köln erhalten (Universität A 197). Die Aufzeichnungen, die mitten aus dem Alltag stammen, erlauben eine sehr detaillierte Rekonstruktion des Lebenslaufs und der Lebensumstände eines Angehörigen des niederen Klerus, seines verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds und sind auch für die Jülicher Lokalgeschichte von nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung. Sch. widmet sich dieser Aufgabe mit Liebe zum Detail und macht die Quelle in ihrem ganzen Reichtum zugänglich, ob es nun um Münzarten und deren Umrechnung geht (die Aufstellung im Anhang S. 223f. verzeichnet nicht weniger als 24), die Käsesorten, für die Wieringen einen gewissen Ruhm genoss (dem grünen Käse wurde Schafskot beigemischt, um ihn würziger zu machen), verschiedene Arten von Nägeln oder auch die Lokalisierung einzelner Häuser in der Stadt Jülich – aus der nur scheinbar trockenen Quelle entsteht ein sehr lebendiges Bild spätma. Alltags. Nicht ganz so glücklich ist man über die seiten- und zeilengetreue Transkription des Notizbuchs. Kürzungen werden falsch aufgelöst: fol. 1r Z. 2 ist zu lesen communiter, nicht qualiter (S. 86); fol. 1v Z. 36 ecclesia, nicht curam (S. 92); Suspensionskürzungen von Maß- und Währungseinheiten sind stillschweigend aufgelöst, aber leider oft nicht im richtigen Casus, vgl. etwa fol. 2r Z. 12 pro sex albos exceptis IIII mauros (S. 94); fol. 15r Z. 4 exceptis II mauros (S. 150); fol. 18v Z. 21 dedi 4 nobelli anglicani (S. 170). Daneben finden sich auch einfache Abschreibefehler, allein zu fol. 1v (S. 90–92): Z. 4 postea, das in der Hs. nicht zu finden ist; Z. 5, 12 und 21 jeweils ostendiuntur statt ostenduntur; Z. 11 paraceves statt parasceues; Z. 38 super statt supra; Z. 41 santus statt sanctus. Bisweilen führen solche Ungenauigkeiten zu handfesten Missverständnissen, die auch auf die Deutung des Textes Auswirkungen haben: Fol. 22r behandelt Gerhard den Holzeinschlag im Jülicher Busch, der ihm als Bewohner und Hüter des Jülicher Stationshauses der Karmeliten zusteht, mit dem er aber auch Haus und Bad heizen muss, wenn Ordensangehörige sich dort aufhalten. Abschließend schreibt er: Ista signavi sic in illum finem, si vellent aliquid a me exigere post (Sch. liest hier prius) aliquot annos pro isto curru lignorum, ut possem scire responsum (Sch. liest rursum) racionabile ad obviandum eis (S. 196). Es geht also keineswegs darum, dass die Karmeliten schon einmal versucht hätten, Gerhard übers Ohr zu hauen (so Sch. S. 57), er will sich nur für die Zukunft absichern – dass er den Mönchen nicht so recht traut, ist natürlich in jedem Fall richtig. Auch die Übersetzung ist reichlich fehlerhaft, vgl. etwa fol. 1r Z. 24 et feci ut prescribitur, „und ich tat wie geheissen“ (S. 89) statt richtig „und ich tat es, wie oben steht“; fol. 8r Z. 21 ipsi facient aggeros, „sie werden die Äcker selbst bestellen“ (S. 129) – richtig wäre „sie werden Deiche errichten“. So bleibt bei aller Dankbarkeit für die Bereitstellung und gründliche Erschließung einer außergewöhnlichen Quelle doch die Einschränkung, dass das Buch im Detail mit einer gewissen Skepsis zu benützen ist.

V. L.