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Martina Hacke, Die Boten der Nationen der Universität von Paris im Mittelalter (Historische Studien 513) Husum 2022, Matthiesen Verlag, 612 S., Abb., ISBN 978-3-7868-1513-6, EUR 79. – Es gibt schon so viele Studien zur Geschichte der Pariser Universität im MA, doch eine vertiefende Untersuchung zu den Boten der vier Nationen stand bislang aus: nämlich der normannischen, der picardischen, der „gallischen“ beziehungsweise französischen (auch die Iberische Halbinsel und Italien umfassend), der englisch-deutschen (von den Britischen Inseln über Nord- und Mitteleuropa bis zum Osten und Südosten des Kontinents). Deshalb ist die Diss. von H. sehr willkommen, die sich den Magistern und Scholaren in der Artistenfakultät zuwendet und mit einem prosopographischen, bildungs- und sozialgeschichtlich akzentuierten Ansatz der Genese des Amts des nuntius nationis (mit Amtseid, schriftlicher Beglaubigung, Entrichtung einer Gebühr für die Aufnahme) und seinen Inhabern nachgeht. Diese – betraut mit der Übermittlung von Briefen, Paketen, Geld und Nachrichten – waren überwiegend, aber nicht ausschließlich Laien, wie die Vf. überzeugend darlegen kann. Prinzipiell sollte ein Bote einer Nation für eine Diözese zuständig sein (jedoch bestehen mangels Nachweisen viele „weiße Flecken“ auf der europäischen Landkarte, zum Beispiel im Süden und Südosten). Nur für die Boten der „gallischen“ oder französischen Nation ist belegt, dass sie sich 1479 zu einer Bruderschaft zusammenschlossen, für welche die Kirche Saint-Mathurin am Genovefahügel (Quartier Latin) auf dem linken Seineufer liturgisches Zentrum und Versammlungsort war. Bezeichnenderweise gibt es nur für jene ein Statutum nationis Gallicanae de nuntiis creandis aus dem Jahr 1472. Einleitend wird die insgesamt fragmentarische und disparate Quellenlage mit dem Forschungsstand vorgestellt, terminologische Klärungen des Begriffs Bote (nuntius) gehen dem voran. Im Hauptteil (S. 43–417) werden die ertragreichen prosopographischen, mit Akribie gewonnenen Forschungsergebnisse, die sich aufgrund der Überlieferung im wesentlichen auf das 15. Jh. beziehen, dargelegt, so unter anderem zu Herkunft, Wohnort, Arbeitsort, Entlohnung und weiteren beruflichen Tätigkeiten. Die mit dem Botenamt verbundenen Privilegien wie Befreiung von Steuern, Zöllen und Wachdiensten trugen zu dessen Attraktivität bei und lassen es verständlich erscheinen, wenn sich auch Hersteller und Verkäufer von Papier und Pergament, Buchhändler und Drucker, Kaufleute und Handwerker bereit fanden, als nuntii zur Verfügung zu stehen. Insofern handelt es sich bei den Boten der nationes um keine homogene Personengruppe. Dafür, dass auch ein beruflicher und sozialer Aufstieg mit der Übernahme des Botenamts verbunden sein konnte, steht beispielsweise Johann von Koblenz, der 1489 als Bote der englisch-deutschen Nation bezeugt ist und 1519, gegen Ende seines Lebens, librarius der Pariser Universität war. Zu einer regelrechten „Botenexplosion“ kam es in den Jahren von 1444 bis 1446 (S. 424). Dass zahlreiche Abbildungen, Diagramme, Karten und Tabellen dem Band beigegeben sind, ist grundsätzlich zu begrüßen. Doch ist die schlechte Druckqualität einiger Abbildungen zu bedauern, so zum Beispiel die Karten zum burgus von Saint-Marcel (S. 277) oder zur Topographie von Paris mit den Hauptstraßen (S. 352). Diese Karten dienen nicht der Anschaulichkeit der Darlegungen. Der Anhang mit Quellen- und Literaturverzeichnis ist erfreulich umfänglich (ab S. 480). Es überrascht, dass nur vier hsl. Quellen aus dem Vatikanischen Geheimarchiv (ab 2019 Vatikanisches Apostolisches Archiv) für die Untersuchung herangezogen werden konnten (S. 486): Collect. Aven. 440, Reg. Suppl. 36 (aus dem Pontifikat Urbans V.), 97 und 98 (aus demjenigen Benedikts XIII.). Die Endnoten zu den Botenlisten (S. 448–456) sind arg klein geraten – die Anmerkungen in den Kapiteln zuvor sind größer gesetzt. Der Band wird durch ein Personen-, Orts- und Sachregister beschlossen. Ein separates Sachregister wäre indes hinsichtlich der Übersichtlichkeit dienlicher gewesen. Aufs Ganze gesehen stellt die Diss. einen aufschlussreichen und beachtenswerten Beitrag zum spätma. Botenwesen der Nationen der Pariser Universität dar und ist auch von Interesse für die Kommunikationsgeschichte vor allem des 15. Jh. 

Andreas Sohn