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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Ondřej Vodička, Sázka na křížového krále. Katoličtí exulanti z husitských měst (1419–1436/1454) [Eine Wette auf einen Kreuzkönig. Katholische Exilanten aus hussitischen Städten (1419–1436/1454)], Praha 2024, Masarykův ústav a Archiv AV ČR – Scriptorium, 400 S., ISBN 978-80-88611-20-2; 978-80-7649-058-1, CZK 399. – Mit der Anspielung auf den Kreuzkönig im Titel weist der Vf. darauf hin, dass auch sein zweites Werk (zum ersten vgl. DA, 77, 398f.) das Schicksal derjenigen verfolgt, die während der hussitischen Revolution in den böhmischen Ländern weiter dem katholischen Glauben anhingen und sich auf die Seite Sigismunds von Luxemburg stellten. Der Schwerpunkt liegt diesmal auf den Exilanten aus den böhmischen Städten, d. h. den Stadtbürgern. Als Exilant gilt ihm, „wer freiwillig oder unter Zwang seinen Wohnsitz im hussitischen Einflussbereich unter latenter oder manifester Bedrohung der Gesundheit, des Eigentums oder der Rechte verließ, sofern diese Bedrohung in direktem Zusammenhang mit dem religiösen, politischen und ethnisch-nationalen Kampf während der hussitischen Revolution stand“ (S. 12). Aus der methodischen Einleitung geht hervor, dass die vorhandenen Quellen bei der Bestimmung des „Exilstatus“ einzelner Personen in erster Linie eine vermögensrechtliche (weniger eine religiöse und politische) Perspektive zulassen, „die es uns erlaubt, jeden Inhaber von Titularrechten an konfiszierten Gütern am Ort des hussitisch dominierten Wohnsitzes als Exilanten zu identifizieren“ (S. 13). Den heuristischen Ausgangspunkt bildet eine beeindruckende Quellenbasis, deren Kern vor allem aus Stadtbüchern (vor allem Iglau/Jihlava, Kuttenberg/Kutná Hora, Prag, Breslau/Wrocław, Wien, Nürnberg usw.), aber auch aus einigen Dokumenten historiographischer und epistolographischer Art besteht. Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Diese befassen sich mit 1) den Umständen des Fortgangs ins Exil, einschließlich des sozioökonomischen Status der künftigen Exilanten vor ihrer Abreise; 2) der Sicherheit und Organisation ihres Aufenthalts im Exil; 3) den Beziehungen zur Exilkirche (das katholische Konsistorium hatte seinen Sitz in Zittau) am Beispiel der Ausübung von Titularrechten an inländischen Kirchenpfründen; 4) den Testamenten der Exilanten (mit der These, dass das konfessionell-politische Schisma zu einer Belastung der familiären Beziehungen wurde, da Verwandte hussitischen Glaubens in den letztwilligen Verfügungen nicht erwähnt werden); 5) der Erfahrung und Verlängerung des Exils, angesiedelt zwischen schwindender Hoffnung auf Rückkehr und der allmählichen sozialen Integration am neuen Wohnort. Auch nach Abschluss der Basler Kompaktaten fanden die Restitutionsansprüche der Exilanten keine Anerkennung (mit einer gewissen Ausnahme in Kuttenberg). Als Paradebeispiel für die Rekonstruktion des Lebens eines Individuums skizziert der Vf. in Kapitel 6 den gut dokumentierten Lebenslauf des Reinhard von Reims, eines Kaufmanns und Bankiers aus der Prager Altstadt, der nach Breslau auswanderte und sich dort niederließ († zwischen 1434 und 1439). Insgesamt hat der Vf. Daten über 387 Exilanten zusammengetragen, die hauptsächlich aus der Ober- und Mittelschicht stammten, wie schon von der früheren Forschung angenommen. Skeptischer ist V., was die Schätzung der Gesamtzahl der bürgerlichen Emigranten angeht, die seiner Meinung nach nur knapp über 5000 Personen lag (S. 30, 143). Die dominierenden Exilorte waren Iglau (108), Breslau (46), Wien (25), Pilsen/Plzeň (20) und Zittau (19), während die stärksten Migrationsströme (Karte auf S. 36) von Kuttenberg nach Iglau (72; beide Bergstädte) und von Prag nach Breslau (40) verliefen. Die überwiegende Mehrheit der Exilanten blieb also in den Ländern der böhmischen Krone (218), was mit dem geringen Anteil des böhmischen Bürgertums korrespondiert, das sich im Spät-MA im Reich niederließ (S. 143). Die Ergebnisse des prosopographischen Ansatzes werden vom Vf. in zwei umfangreichen Anhängen verdienstvoll präsentiert. Die biographischen Medaillons der Exilanten (S. 151–303) sind alphabetisch nach Herkunftsorten, dann nach Familien- und Vornamen geordnet und mit einer Berufsangabe versehen. Das Regestenverzeichnis der Exilanten (66 + 7 Deperdita) auf S. 305–338 mit Ersatzregesten in tschechischer Sprache (Personennamen und einige Sachteile in der Sprache der Quelle belassen; sechs ediert bei Thomas Krzenck, Böhmische Bürgertestamente des 15. Jahrhunderts, 2017) ist chronologisch geordnet (1421–1454). Einem beachtlichen Verzeichnis unveröffentlichter archivalischer Quellen (S. 339–341) folgen u. a. eine englische Zusammenfassung (S. 361–364) sowie ein verlässliches Namen- und Ortsregister (S. 365–395). Am Ende dieser Publikation zu einem Thema, dessen Interpretation seit dem 19. Jh. einem starken Wandel unterworfen ist, findet sich ein sehr optimistisches Urteil des Vf.: „Die tschechische Mediävistik und die Hussitologie sind vielleicht endlich an einem Punkt angelangt, an dem es möglich scheint, sich von Werturteilen zu befreien und die einzelnen Aspekte der hussitischen Revolution sine ira et studio zu untersuchen“ (S. 149).

Jan Hrdina