DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Notai sulla frontiera: pratiche e contaminazioni tra Italia e Mediterraneo (secoli XII–XV), a cura di Simone Balossino, in: Reti Medievali Rivista 25,2 (2024) S. 169–331: Der Themenschwerpunkt („Saggi in Sezione monografica“) veröffentlicht neben einer historiographischen und problemgeschichtlichen Einführung fünf Beiträge zum Notariat in Grenzgebieten im Hoch- und Spät-MA. – Simone Balossino / Paolo Buffo, Culture notarili e spazi di frontiera: questionari storiografici a confronto e problemi aperti (S. 169–179), binden die Beiträge in die Forschungsdiskurse zum öffentlichen Notariat und zu „Grenzgebieten“ im Hoch- und Spät-MA ein. Dabei werden die lokalen Charakteristika besonders betont. Ausgangspunkt bilden „Grenzgebiete“ auf der italienischen Halbinsel, in den Fallstudien wird der Untersuchungsraum auf den Mittelmeerraum (Provence, Königreich Aragón, Kreta) erweitert. – Emanuele Curzel, Notai di valle, notai di villaggio: „mani pubbliche“ nelle comunità trentine del tardo medioevo (S. 181–218), untersucht das rurale Notariat im Trentino im 13. und 14. Jh. Die Entwicklung weist zahlreiche Parallelen zu anderen südalpinen Regionen (vom Piemont bis nach Friaul) auf, ist aber auch durch lokale Besonderheiten wie die ausgeprägte temporale Herrschaft der Bischöfe von Trient gekennzeichnet. Auffallend sind die (zumindest in einigen Fällen) hohe soziale Stellung der Notare und die Mobilität zwischen Stadt und Land. – Simone Balossino, Notai ai limiti occidentali dell’Impero: il caso della Provenza (secoli XI, XII e inizio XIII) (S. 219–248), nimmt die Provence als Grenzgebiet des ma. Reichs mit engen Kontakten zu diversen italienischen Städten in den Blick. Im Untersuchungszeitraum wird der Übergang von einer „namenlosen“ Dokumentation zur expliziten Angabe von Namen, Funktionen und Signets der einzelnen Notare deutlich. Der Schwerpunkt dieser Entwicklung liegt im städtischen Bereich, wobei lokale Traditionen und externe Einflüsse zusammenwirken. – Marta Luigina Mangini, Formulari e confini dello spazio notarile. Il caso del formulario di Giovanni Bizzozzero di Varese, Filippo Stefanini di Pallanza e Antonio Fossati di Meride (metà del secolo XV) (S. 249–273), beleuchtet mittels einer detaillierten Analyse des Formulario Bizzozzero (Bellinzona, Archivio Cantonale, Diversi, b. 1134) aus dem 15. Jh. das Notariat zwischen Como, Varese und dem Tessin. Als Formelbuch zeigt die Hs. sowohl die Bedeutung solcher formularia für die tägliche Arbeit der Notare auf, weist aber gerade in der Redaktion durch Antonio Fossati aus den 1450er Jahren darüber hinaus, indem hier lokale Unterschiede der Notariatspraxis zwischen Mailand und dem Raum Como/Lugano explizit thematisiert werden. – Daniel Piñol-Alabart / Jordi Saura-Nadal, Fronteras jurisdiccionales y notariado público en Cataluña: el caso de la Bisbalia de Girona en el siglo XIV (S. 275–306), können auf der Basis der umfangreichen Quellen im Arxiu Comarcal de la Cerdanya, im Arxiu de la Corona d’Aragó und im Arxiu Històric de Girona (mit reichem Bildmaterial) dokumentieren, wie sich unterschiedliche ernennende Instanzen (in diesem Fall die Krone von Aragón und der Bischof von Girona) auf die tägliche Praxis der Notare und auf die Form der Notariatsprotokolle auswirkten. Dies hatte auch Folgen für die Überlieferungslage: Während die bischöflichen Notariatsakten unabhängig von Personenwechseln im Notariat verblieben, führte der königliche Notar „seine“ Akten persönlich mit sich. Das höhere Prestige führte zu einer eindeutigen Bevorzugung der königlichen Ernennung. – Eleni Sakellariou, Notaries in Venetian Crete: Social Mobility and Linguistic Mediation in a Multicultural Environment (S. 307–331), widmet sich mit dem venezianischen Kreta einem „Grenzgebiet“ besonderer Natur mit sprachlich gemischter Bevölkerung, die (zumindest im Privatrecht) unterschiedlichen Rechtssystemen angehörte und auf divergierende Notariatssysteme zurückgriff. Der zeitliche Rahmen ist von 1204 bis 1669 sehr weit gefasst. Entsprechend handelt es sich bei dem Beitrag um einen Überblick über die wichtigsten Forschungsansätze. Auch wenn Notariatsinstrumente in griechischer Sprache geführt wurden, galt im Wesentlichen das venezianische Recht. Die Notare standen entweder in staatlichen Diensten oder waren freiberuflich tätig, Doppeltätigkeiten waren möglich. Unter den freiberuflichen Notaren ging der anfangs hohe Anteil von Klerikern stetig zurück. Insgesamt waren die Strukturen des kretischen Notariats weitgehend der Praxis in Venedig angepasst.

Thomas Hofmann