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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Marco Robecchi, Riccold de Monte di Croce, ‘Liber peregrinationis’, traduit par Jean le Long d’Ypres (TraLittRo, Travaux de Littératures Romanes) Strasbourg 2020, Éditions de linguistique et de philologie, XII u. 447 S., ISBN 978-2-37276-031-7, EUR 50. – Der Dominikaner Riccoldo da Monte di Croce (ca. 1243–1320) prägte mit seiner vielgelesenen und in zahlreiche Sprachen übersetzten Widerlegung des Korans (Contra legem Sarracenorum, gedruckt 1500 unter dem Titel Confutatio Alcorani) bis weit in die Reformationszeit hinein das Bild des christlichen Europa vom Islam. Den Orient, seine Bewohner und Religionen sowie die arabische Sprache hatte er auf einer ausgedehnten, mehrjährigen Pilger- und Missionsreise kennengelernt, die ihn ab 1288 vom Heiligen Land bis nach Bagdad führte. Nach seiner Rückkehr ins heimische Florenz Anfang des 14. Jh. hielt er seine Beobachtungen in einem autobiographischen Reisebericht fest. 1351 übersetzte der Mönch und spätere Abt von Saint-Bertin Jean le Long d’Ypres diesen Liber peregrinationis zusammen mit fünf anderen aktuellen Berichten über den Orient ins Französische und lieferte damit – so die Hypothese des Vf. – den Kaufleuten von Saint-Omer und Umgebung wichtige Informationen über eine für die mögliche Expansion ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten interessante Region. R. legt hier die erste kritische Edition der französischen Fassung vor, wobei er die Übersetzung mit der lateinischen Vorlage parallelisiert. Der lateinische Text ist bereits in einem Druck von J. C. M. Laurent aus dem Jahr 1864 und seit 1997 in einer Edition mit moderner französischer Übersetzung von René Kappler zugänglich. R. strebt für den lateinischen Text keine neue kritische Edition an, sondern wählt vielmehr eine Hs. aus der von ihm so bezeichneten „nordeuropäischen Familie“ als Grundlage, die nicht dem Archetyp, sondern vielmehr der möglichen Vorlage von Jean le Long möglichst nahekommt. Auch den lateinischen Text versieht er mit einem – reduzierten – kritischen Apparat. Aus dem Vergleich der lateinischen und französischen Fassung zieht er weitergehende Erkenntnisse über die Arbeitsweise von Jean le Long als Übersetzer, der zwar den Sinngehalt seiner Vorlage getreu überträgt, die eher trockenen Reiseberichte seiner geistlichen Gewährsleute jedoch durch Auslassungen, Ergänzungen und Modifikationen zu romanhafteren Erzählungen über Abenteuer im Orient umgestaltet und sie so den Bedürfnissen seines Publikums anpasst. Dazu dienen auch ergänzte Passagen über katholische Riten und Dogmen, die seinen nicht-geistlichen Lesern das Verständnis erleichtern sollen. Er ändert, so R., die Verpackung des Texts, doch der Inhalt bleibt derselbe (S. 110). Eingebettet ist die Edition, die sich an den Gepflogenheiten der École nationale des chartes orientiert, in eine ausführliche Vorstellung sämtlicher Textzeugen der lateinischen, italienischen und französischen Fassungen des Liber peregrinationis, kluge Überlegungen über das Werk des Jean le Long und sein mögliches Publikum sowie linguistische Analysen zu Schreibung und Lautung, Morphologie, Lexikologie und Syntax, die interessante Einblicke in die spätma. Regionalsprache der Picardie liefern.

Sabine Penth