Maestro Arsegino de Padua, Quadrige. Edición crítica, traducción y comentario a cargo de Eduardo Serrano (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 69 – serie 2, 33) Firenze 2024, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, 328 S., ISBN 978-88-9290-219-0, EUR 68. – Diese kritische Ausgabe der ars dictandi Quadrige des Meisters Arsegino aus Padua füllt eine Lücke, indem sie endlich den kommentierten Text eines Traktats liefert, der zwar keinen zentralen Platz in der Geschichte der ars dictaminis einnimmt, aber aufgrund seines Entstehungsorts und -zeitpunkts sowie einiger seiner Merkmale dennoch von großem Interesse ist. Verfasst im Jahr 1217, zu einer Zeit, als die norditalienische ars dictaminis einen tiefgreifenden Wandel durchlief und ihre Präsentationsstrategien komplexer wurden, von einem lokalen Meister, dem Notar Arsegino, der zu Beginn des 13. Jh. als Lehrer in Padua tätig war, ist die Abhandlung komplett nur in einer späteren Hs. (P: Padua, Univ.-Bibl., Ms. 1182) überliefert. Dieser Entstehungskontext (unterstrichen durch einen Prolog, der auf eine lokale und bescheidene Lehre hindeutet: parvis panem postulantibus sibi frangi compaciens ... opusculum, prol. 19f., S. 90) und die geringe Verbreitung ändern jedoch nichts daran, dass der Text mehrere Punkte von großem Interesse aufzuweisen hat. Dies gilt für Arseginos Bemerkungen zu den Textgattungen, die mit dem prosaischen dictamen verbunden sind (Prophezeiung, Psalm, Hymnus [!], Geschichte, Fabel, Redekunst, Predigt, Vertrag, Privileg, Testament ...: S. 104), zu den Unterschieden zwischen weiblicher und männlicher Schrift (S. 110), zur Interpunktion (S. 188–192) mit interessanten orthographischen Empfehlungen (Verwendung von Großbuchstaben) u. a. Auch wenn Arsegino keinen massiven Einfluss auf die weitere Geschichte der ars dictaminis hatte, spiegeln die Quadrige die lebhaften Diskussionen über das Wesen und die Grenzen der ars dictaminis wider zu einer Zeit, als sich auch Boncompagno da Signa mit der Frage nach der Gliederung der mit der Rhetorik und dem Notariat verbundenen Gattungen beschäftigte. Das von S. gewählte Editionsprinzip, das die Rechtschreibung der Hs. P respektiert, erscheint für eine hsl. Tradition dieser Art sinnvoll, und sowohl die Einleitung als auch der Kommentar liefern zahlreiche wertvolle Beobachtungen. Eine sehr fundierte Diskussion sowohl der möglichen Quellen als auch der Parallelen in der rhetorischen Tradition des frühen 13. Jh. macht die Ausgabe zu einem Beispiel für qualitätvollste Forschung auf dem Gebiet der ma. Rhetorik auf dem Niveau der besten italienischen Fachleute. In der Diskussion über die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Quadrige und zwei anderen, bekannteren Traktaten aus dem frühen 13. Jh., der ars dictandi des Kardinals Thomas von Capua und dem Candelabrum des Bene von Florenz (vgl. insbesondere S. 31–42 und den Kommentar), stellt S. verschiedene Hypothesen auf. Zu diesem Punkt kann bereits jetzt angemerkt werden, dass seine vorsichtige Infragestellung der traditionellen Datierung der ersten Fassung der ars dictandi von Thomas durch E. Heller auf 1209/10 nicht nachvollziehbar ist, wenn er sich fragt, ob Thomas nicht von den Quadrige beeinflusst worden sein könnte. Es gibt nämlich eine noch unveröffentlichte Fassung der ars dictandi von Thomas, deren Inhalt eindeutig beweist, dass sie 1209/10 verfasst wurde und dass Thomas von Capua Arsegino beeinflusst hat und nicht umgekehrt (vgl. Benoît Grévin / Marie Tranchant, La première version de l’ars dictandi de Thomas de Capoue [c. 1209], in Kürze in: Archivum Latinitatis Medii Aevi). Der Rez. muss betonen, dass seine Entdeckung ohne die Konsultation der Quadrige in dieser ausgezeichneten Ausgabe nicht möglich gewesen wäre. Dies lässt auch erkennen, wie sehr sich die Forschung zur ars dictaminis in den letzten Jahren beschleunigt hat: Es erscheinen immer mehr hochwertige Ausgaben, die eine rasche Erweiterung unseres Wissens über die komplexe Intertextualität dieser Welt ermöglichen, die in den mittellateinischen Studien mittlerweile keine marginale Position mehr einnimmt. Es ist zu hoffen, dass S., der sich als Spezialist auch für andere für die Geschichte der Disziplin grundlegende Rhetoriklehrer (ich denke dabei zum Beispiel an Lorenzo di Aquileia) etabliert hat, bald weitere Bücher veröffentlichen wird, die diesem entsprechen.
Benoît Grévin