The Medieval Chronicle 15. Essays in Honour of Erik Kooper, ed. by Sjoerd Levelt / Graeme Dunphy, Leiden / Boston 2023, Brill, XVIII u. 380 S., Tab., farbige Abb., ISBN 978-90-04-54590-8, EUR 130. – Der Sammelband geht auf die 10. Internationale Tagung der Medieval Chronicle Society (MCS) im Jahr 2023 zurück und ist Erik Kooper gewidmet. Die Vorgabe der Hg. (S. XI–XIII), die Beiträge so zu gestalten, als würde man mit Kooper ein Gespräch über ein aktuelles Forschungsproblem führen, sorgt zwar nicht für einen roten Faden, mindert aber auch nicht die Qualität der Beiträge. Die Themen sind so vielfältig wie die Forschungsfelder der Mitglieder der MCS: Sie reichen vom 9. bis zum 17. Jh. und erstrecken sich von England über Böhmen und die Iberische Halbinsel bis nach Byzanz. Fragestellungen aus den Disziplinen der Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaft sind ebenso vertreten wie solche aus der Kunstgeschichte. Allen 27 auf Deutsch, Englisch oder Französisch veröffentlichten Beiträgen ist ein englisches Abstract vorangestellt. Aus der Fülle seien im Folgenden einige exemplarisch herausgegriffen: Marie Bláhová, Die ‘Geschichte in Daten’ im mittelalterlichen Böhmen (S. 1–14), skizziert den Wandel in der böhmischen Geschichtsschreibung vom narrativen Werk hin zu den Kompendien des 14. und 15. Jh., deren Inhalte chronologisch angeordnet wurden, um so eine gezielte Suche nach Informationen zu ermöglichen. – Cristian Bratu, Authorship in Medieval Breton Chronicles (S. 15–25), zeigt am Beispiel von Guillaume de Saint-André, Pierre Le Baud und Alain Bouchart, dass sich nicht nur anglo-normannische und burgundische Geschichtsschreiber als Autoren in ihren Werken in Szene setzten, sondern zeitverzögert auch solche aus der Bretagne. – Godfried Croenen, The Bruges Manuscript and Book III of Jean Froissart’s Chroniques (S. 40–54), vergleicht zwei Hss. von Froissarts Chronik: die erst kürzlich entdeckte Hs. Brügge, Grootseminarie Ten Duinen, Archiv, Ms 468, und Paris, BnF, fr. 2650. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich um unterschiedliche Bearbeitungsstufen derselben Redaktion handelt, mit deren Hilfe die Genese des Texts nun besser nachvollzogen werden könne. – Peter Damian-Grint, Historian as Hagiographer? Benoît de Sainte-Maure’s Saintly Duke of Normandy (S. 55–67), verneint die Frage, ob Benoît de Sainte-Maure die normannischen Herzöge als Heilige nach kapetingischem Vorbild stilisiert, und führt die hagiographischen Elemente der Chronique des ducs de Normandie stattdessen auf Benoîts Vorlagen Robert von Torigni und Dudo von Saint-Quentin zurück. – Kelly DeVries, The Changing Versions of Froissart’s Description of the Battle of Sluys, 1340 (S. 68–77), sucht zu ergründen, warum drei Versionen von Froissarts Bericht zur Seeschlacht von Sluys existieren. Er legt überzeugend dar, dass darin wechselnde politische Loyalitäten zum Ausdruck kommen, für die Froissarts Biographie eine Erklärung bietet: Erst war die englische, bald die flämische und schließlich die französische Perspektive zentral, je nachdem in wessen Diensten Froissart gerade stand. – Chris Given-Wilson, English Translation of John Strecche’s Chronicle for the Reign of Henry IV (S. 114–124), macht ein weitgehend unbeachtetes Kapitel aus John Strecches Historia regum Anglie zu Heinrich IV. (1399–1413) durch eine englische Übersetzung zugänglich, verzichtet aber angesichts der limitierten Zeichenzahl auf den Abdruck des lateinischen Originals. Da die Hs. London, British Library, Additional Ms 35295, nicht digitalisiert ist, bleibt einem der Gang in die British Library nun trotzdem nicht erspart. – Ryszard Grzesik, Lost Polish Chronicle(s) in the Hungarian-Polish Chronicle (S. 125–147), rekonstruiert aus späteren Ableitungen den möglichen Inhalt zweier wohl verlorener Chroniken, der Gesta Boleslai Largi sowie der für Salomea von Polen († 1268) verfassten Chronica Polonorum, einer zentralen Quelle des Chronicon Hungarico-Polonicum. – Michael Hicks, Three Chronicles by London Clergymen and the Yorkist Version of the First War of the Roses (S. 148–160), analysiert drei Chroniken aus der Zeit der Rosenkriege (1440–1462) hinsichtlich Sprache, Stil, Datierungsmethode und des Einsatzes von Verben. H.s akribische Textanalyse gibt verblüffende Einblicke in die Lebenssituation, den Wohnsitz und das Alter der Chronisten: Er identifiziert alle drei als Londoner Kleriker, zwei davon sogar namentlich – ihm zufolge kommen William Witham als möglicher Autor von John Benet’s Chronicle und William Ive als solcher von Gregory’s Chronicle in Betracht. – David Hook, Creative Copyists. Numerical Problems in a Manuscript of the Crónica de Don Álvaro de Luna from the Bibliotheca Phillippica (MS 8415) and Their Implications for Future Editions (S. 161–172), demonstriert einmal mehr anhand einer Hs. des 17. Jh., dass die ältesten Hss. nicht zwangsläufig die autornächste Lesart eines Texts bieten. – Alison Williams Lewin, A City of Two Tales: Late Medieval Siena (S. 188–199), stellt die Aufzeichnungen zwei in unmittelbarer Nachbarschaft lebender Sieneser Bürger, des Malers Bindino da Travale und des Goldschmieds Paolo di Tommaso Montauri, gegenüber. Trotz der räumlichen Nähe gibt es kaum Überschneidungen in den Berichten aus der Zeit des Großen Abendländischen Schismas, was L. mit jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen der Autoren erklärt. – Lisa M. Ruch, (Re)Deeming the Historia Croylandensis as Historical Fiction (S. 267–279), fordert eine Neubewertung des lange als Fälschung disqualifizierten und deshalb wenig beachteten ersten Teils der Pseudo-Ingulf-Chronik aus dem 15. Jh., indem sie dessen literarische Raffinesse und identitätsstiftende Funktion für die Abtei Croyland hervorhebt. – Carol Sweetenham, 1095 and All That: Brief Reflections on Social Memory and the ‘Non-Canonical’ Texts of the First Crusade (S. 291–304), fragt, was Autoren des 12.–14. Jh. vom ersten Kreuzzug im Vergleich zu denen, die unmittelbar während und nach den Geschehnissen schrieben, in Erinnerung geblieben ist. – Grischa Vercamer, Die Kritik des einen Autors entspricht dem Lob des Anderen. Das Bild König Stephans von England in der Historia Novella und den Gesta Stephani (12. Jahrhundert) (S. 319–339), untersucht am Beispiel zweier Chroniken aus der Zeit des englischen Bürgerkriegs (1135–1153), welche Strategien die Chronisten anwandten, um gute von schlechter Herrschaft zu scheiden. Die Befunde, die die Beurteilung der beiden verfeindeten politischen Lager betreffen, sind in einer Tabelle zusammengefasst: Mathilde und ihr minderjähriger Sohn Heinrich II. auf der einen, Stephan von Blois auf der anderen Seite. – Jürgen Wolf, Lübeck Welthistorisch: Die Anfänge der Städtisch-Lübischen Geschichtsschreibung um 1300 (S. 340–354), demonstriert ausgehend von den ersten chronikalen Aufzeichnungen im Copiarius 1298, wie zeitgleich mit Lübecks städtischer Entwicklung eine vom Stadtrat initiierte Chroniktradition entstand. – Den Band beschließen ein Schriftenverzeichnis von Erik Kooper für die Jahre ab 2007 (S. 355–357) sowie ein gemischtes Hss.-, Orts-, Personen- und Werkregister (S. 358–380). – Auch wenn hier nur ein Bruchteil der versammelten Beiträge vorgestellt wurde, dürfte deutlich geworden sein, dass der Band weniger durch thematische Geschlossenheit als durch die Vielfalt seiner Beiträge besticht, die ein breites Spektrum an Quellen, Methoden und Fragestellungen abdecken. Die Festgabe ist damit nicht nur eine verdiente Würdigung von Erik Koopers wissenschaftlichem Wirken, sondern auch ein wertvoller Beitrag zur aktuellen Chronistikforschung.
A. N.