Rudolf Kern, Quellen, Leben und Verehrung Theodards – eines bei Rülzheim ermordeten frühmittelalterlichen Bischofs aus Maastricht, Ubstadt-Weiher / Heidelberg / Stuttgart / Speyer / Basel 2024, verlag regionalkultur, 360 S., Abb., ISBN 978-3-95505-453-3, EUR 29,80. – Die BHL zählt für das spätantike und merowingische Gallien mehr als 800 Märtyrer und andere Heilige, von denen jedoch lediglich ein Bruchteil hinsichtlich Überlieferung, Leben und Wirken der Heiligen und ihrer kultischen Verehrung erforscht ist. In diese Lücke stößt der Germanist K. mit seiner Studie zu Theodard, einem selbst in der Fachwelt kaum bekannten Maastrichter Bischof und Regionalheiligen des 7. Jh. Das Buch richtet sich zwar vornehmlich an einen breiten Kreis geschichtsinteressierter Laien (S. 11), ist aber auch Fachleuten sehr willkommen, besticht es doch durch eine gründliche Sichtung und Aufbereitung der ma. Überlieferung zu Theodard. Das Buch ist gegliedert in drei Teile, denen einleitende Bemerkungen zu den Quellen hinsichtlich des nordöstlichen Frankenreichs und ihrer Behandlung vorangestellt sind (S. 15–19). Das Herzstück bildet der erste Teil, in dem die wichtigsten Zeugnisse zu Leben, Wirken und Kult Theodards zusammengestellt sind (S. 21–149). Hierzu zählen, neben einem vom Vf. irreführend als chartula betitelten praeceptum König Childerichs II. vom 6. September 670 (MGH D Merov. 108) und zwei hochma. Lebensbeschreibungen Theodards, mehrere früh- und hochma. Viten Lamberts von Maastricht, eines Schülers Theodards, sowie Einträge zu Theodard in den Gesta episcoporum Tungrensium, Traiectensium et Leodiensium. Jede Quelle ist mit dem lateinischen Text der jeweils maßgeblichen kritischen Ausgabe unter Angabe abweichender Lesarten aus der bedauerlicherweise kaum thematisierten hsl. Überlieferung abgedruckt, historisch kommentiert und erstmals mit einer deutschen Übersetzung versehen. Auf Basis der im ersten Teil vorgestellten, schütteren Quellengrundlage versucht sich der Vf. im zweiten Teil an einer Rekonstruktion von Leben und Wirken Theodards unter Einbettung in den historischen Kontext (S. 151–231). Theodard stammte vermutlich aus Aquitanien und gelangte mit seinem Lehrmeister Remaclus in das austrasische Kloster Stablo, dessen Abt er später werden sollte, bevor er auf den Bischofsstuhl des Bistums Tongern-Maastricht berufen und während einer Reise an den Hof König Childerichs II. in der Nähe von Speyer von Wegelagerern erschlagen wurde. Der Vf. diskutiert ausführlich innerhalb der Theodard-Forschung strittige Fragen unter sorgfältigem Abwägen der unterschiedlichen Argumente: u. a. zur Herkunft des Heiligen, zu dessen Stellung im Kloster Stablo, zur Datierung der Amtszeit Theodards als Bischof von Tongern-Maastricht (ca. 650–675), zu seiner Position in den Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Adelsverbänden im austrasischen Frankenreich des 7. Jh. und nicht zuletzt zur Lokalisierung seines „Martyriums“. Der dritte und letzte Teil ist dem Kult und Nachleben Theodards vom Früh-MA bis in die Gegenwart gewidmet (S. 233–330), wobei der Vf. auch unsicheren Zeugnissen für Theodards kultische Verehrung nachgeht (z. B. im Kloster Weißenburg). Deutlich wird eine weitgehende regionale Beschränkung des Theodard-Kults auf das Grenzgebiet der heutigen Staaten Belgien, Niederlande und Deutschland, wobei erwartungsgemäß ein geographischer Schwerpunkt auf dem Gebiet östlich Brüssels, innerhalb des früheren Bistums Tongern-Maastricht-Lüttich liegt. Quellen und Literatur sind sorgfältig recherchiert; das Werk ist gut strukturiert; umfangreiches Kartenmaterial, zahlreiche Illustrationen und eine Stammtafel zu den merowingischen Frankenkönigen des 7. Jh. runden es ab. Fachkundige Leser wundern sich jedoch zum einen über eine mitunter allzu positivistische Sicht auf das Quellenmaterial, die vorbehaltlos einer zeitgenössischen Überlieferung eine größere Glaubwürdigkeit bescheinigt als einer späteren (S. 16, 31), und zum anderen über so manches Urteil des Vf. Mit seiner Ansicht, dass Ausbreitung und Einfluss der Klöster im Frankenreich bis zum Auftreten Columbans des Jüngeren Ende des 6. Jh. unbedeutend gewesen seien (S. 161), verkennt K. spätantike Kontinuitäten ebenso wie mit seiner Annahme, die Merowinger hätten sich für die Verwaltung ihres Reichs im Wesentlichen auf die Kirche und deren Bischöfe gestützt (S. 178). Hier sei verwiesen auf das Bestreben gallischer Bischofssynoden bereits des frühen 6. Jh., den ausufernden Klostergründungen Einhalt zu gebieten, oder auf die Kontinuität spätrömischer munizipaler Administration in Gallien bis weit in die Karolingerzeit, welche die Forschung der letzten Jahre herausgearbeitet hat. Zudem haben sich kleine Fehler eingeschlichen: So ist das Kürzel (M.) bzw. (L. M.) hinter dem Namen des Urkundenausstellers in den Ausgaben des eingangs erwähnten Diploms Childerichs II. keineswegs mit [lectio] maiestatis aufzulösen, wie K. möchte (S. 28, Anm. 30), sondern markiert in der Edition die Stelle in der Signumzeile, an der in der Urkunde das Herrschermonogramm (monogramma) steht bzw. in einer nur kopial überlieferten Urkunde das Monogramm gestanden hat (locus monogrammatis). Ungeachtet derlei kleiner Mängel und weniger fehlgehender Urteile, handelt es sich um eine gelungene, höchst willkommene prosopographische Untersuchung zu einem weithin unbekannten merowingerzeitlichen Bischof. Weitere Detailstudien dieser Art könnten als wertvolle Mosaiksteine dazu beitragen, unser Bild vom merowingischen Frankenreich zu ergänzen, und perspektivisch den Weg für neue Synthesen ebnen.
Christian Stadermann