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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Domenico di Gravina, Chronicon. Edizione critica, traduzione e commento a cura di Fulvio Delle Donne con la collaborazione di Victor Rivera Magos / Francesco Violante / Marino Zabbia (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 65 – serie 2, 32) Firenze 2023, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, VI u. 696 S., ISBN 978-88-9290-217-6, EUR 115. – Diese unikal überlieferte Notariats-Chronik (Wien, Österreichische Nationalbibl., Cod. 3465) bietet Informationen über den Konflikt der Jahre 1348–1350 zwischen den beiden Zweigen des Hauses Anjou um die Vorherrschaft im Königreich Neapel. Der Streit zwischen den beiden Linien schwelte, seit Robert (der Weiße) von Anjou nach dem Tod seines Vaters, Karls II. von Anjou, 1309 von Papst Clemens V. in Avignon als dessen Nachfolger zum König von Neapel gekrönt worden war, obwohl Roberts älterer Bruder, Karl Martell, der für den ungarischen Thron vorgesehen war, ein Prätendent mit mindestens gleicher Legitimation gewesen wäre. Als Roberts Sohn, der als Nachfolger vorgesehene Herzog Karl von Kalabrien, 1328 mit 30 Jahren verstarb, bestimmte Robert testamentarisch seine Enkelin Johanna, zu diesem Zeitpunkt ca. 4 Jahre alt, als Nachfolgerin. Die ungarische Linie fühlte sich wohl ein zweites Mal übergangen. Um die beiden Linien wieder zu versöhnen, wurde Johanna 1333 mit ihrem Cousin Andreas von Ungarn – dem Enkel Karl Martells – verheiratet, als beide ca. 6/7 Jahre alt waren. 1343 trat Johanna dann die Nachfolge von Robert dem Weißen an, verweigerte jedoch ihrem Ehemann Andreas die Krönung. Vollends eskalierte die Situation, als 1345 auf Drängen des Papstes Clemens VI. Andreas, der nun doch zum König von Neapel gekrönt werden sollte, ermordet wurde und Johanna das Königreich weiterhin alleine führen wollte. Anhänger Ludwigs von Ungarn, des Bruders des Ermordeten, zogen um die Jahreswende 1347/48 im Königreich Neapel ein, um die Ermordung Andreasʼ zu rächen und die Ansprüche der ungarischen Anjou auf den neapolitanischen Thron geltend zu machen. Domenico di Gravina, zu dieser Zeit Notar in seiner Heimatstadt in der westlichen Murgia, schildert in seinen Aufzeichnungen die Ereignisse der Jahre 1348–1350 in Apulien aus seiner subjektiven Sicht. Diese Schilderungen sind mit höchster Vorsicht zu genießen, da Domenico auch im Verdacht stand, an der Ermordung Andreasʼ im September 1345 beteiligt gewesen zu sein. Zudem ist seine Chronik für viele Sachverhalte die einzige Quelle, was eine Klärung ihrer Objektivität zusätzlich erschwert. In der Einleitung der nun vorliegenden Edition werden zunächst die biographischen Daten zu Domenico zusammengestellt, die allerdings sämtlich aus der teilweise in Ich-Form geschriebenen Chronik selbst stammen, da über ihn sonst nichts überliefert ist. Bei den anschließenden theoretischen Überlegungen zu den Textgattungen der Geschichtsschreibung schließt sich D. D. der Einordnung von Albano Sorbelli in den RIS² 12,3 (1903–1909) an, der den Text am ehesten als Erzählung charakterisierte, weist die Prosa als eine der ambitioniertesten ihrer Epoche aus (S. 17) und behandelt ausführlich Passagen mit einem deutlichen literarischen Anspruch, wie ihn u.a. die Verwendung des Cursus nahelegt. Darüber hinaus bietet die Einleitung eine inhaltliche Analyse der Chronik mit einer Inhaltsangabe Kapitel für Kapitel, der Herausarbeitung der Narrative und der Einordnung in den Kontext zeitgenössischer Chroniken. Das abschließende Kapitel über die Chronik als Quelle für bäuerliches Leben in Apulien wirkt dagegen als Fremdkörper in der sonst sehr literarisch ausgerichteten Einleitung. Im Kapitel „Nota al testo“ (S. 67–84) wird die Hs. beschrieben, die bisherigen Editionen werden vorgestellt und die Editionsrichtlinien erläutert. Hier werden auch die Marginalien der Hs. wiedergegeben (S. 75–80), nicht jedoch in der Edition selbst, was der Funktion von Marginalien zuwiderläuft. Der textkritische Apparat der Edition ist gegenüber Sorbellis Ausgabe arg zusammengeschrumpft, da der Text, anders als in der Einleitung behauptet (S. 74), in einer normierten Form geboten wird – Sorbelli hat sämtliche Schreibweisen der Hs. vermerkt, während man diese in vorliegender Ausgabe vergeblich sucht. Deshalb lohnt – zumal bei einem unikal überlieferten Text – immer noch ein Blick in den Sorbelli, zumindest solange die Wiener Hs. nicht digitalisiert ist. Das Verdienst dieser Neuedition ist neben der italienischen Übersetzung besonders die ausführliche Kommentierung des Textes, die hier hinter die Edition gesetzt wurde (S. 609–669), was die Benutzung etwas erschwert. Die Einteilung in Kapitel (römische Zahlen) und Paragraphen (arabische Ziffern) erschließt sich nicht so richtig, denn es sind nicht nur die Absätze numeriert, sondern – bei längeren Absätzen – mitunter auch jeder einzelne Satz, aber das wiederum nicht konsequent. Eine schematische Karte des süditalienischen Festlands ohne Kalabrien sowie ein kombiniertes Orts- und Personenregister beschließen den Band, der der Edition von Maria Giovanna Montrone (1980) vorzuziehen ist, da diese gar keinen textkritischen Apparat aufweist, sondern nur den Editionstext von Sorbelli wiedergibt und durch ihre der Glossa Ordinaria nachgeahmte Typographie sehr leserunfreundlich gestaltet ist.

H. Z.