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De la sigillographie féminine médiévale dans l’Europe méditerranéenne, sous la direction de Vinni Lucherini (Quaderni napoletani di storia dell’arte medievale 8) Roma 2024, Viella, 206 S., Abb., ISBN 979-12-5469-567-8, EUR 59. – Der Band versammelt insgesamt zehn Beiträge zu den Siegeln laikaler Frauen aus Ländern des Mittelmeerraums im weiteren Sinn vom 12. bis ins 14. Jh., insbesondere von der Iberischen Halbinsel, Süditalien, Ungarn und Bosnien; der Beitrag zu byzantinischen Frauensiegeln nimmt wesentlich das 10. und 11. Jh. in den Blick. Die Studien gehen zurück auf ein im November 2022 in Neapel gehaltenes Kolloquium „Sigillografia femminile nell’Europa mediterranea angioina e catalano-aragonese“, das von L. organisiert wurde, wie der kurze einleitende Beitrag von Xavier Barral i Altet (S. 7–17) zu erkennen gibt, der einige Überlegungen zum Forschungsstand sowie Zusammenfassungen der versammelten Beiträge bietet. Jean-Claude Cheynet (S. 19–44) zeigt, dass in Byzanz jenseits von Mariendarstellungen religiöser Siegel weltliche Frauen nur selten Siegel führten. Dabei handelt es sich wegen ihrer breiteren rechtlichen Handlungsmöglichkeiten vor allem um die Kaiserinnen des 11.–13. Jh., weibliche Angehörige des Kaiserhauses sowie seltener weiterer Adelsfamilien, wobei die Siegelführung die sich verbessernde Rechtsstellung der Frauen deutlich sichtbar werden lässt. Laurent Hablot (S. 45–65) untersucht die ersten Siegel von Frauen mit Wappendarstellungen bereits aus dem 12. Jh. und zeigt, wie mithilfe der Wappen des Vaters und/oder des Ehemanns heraldische Diskurse um Identität verhandelt wurden, die im 13. Jh. festere Formen fanden, auch weil sich mit der Integration beider Schilde im Siegelfeld bzw. dem geteilten oder gespaltenen Schild mit der im Deutschen als Allianzwappen bezeichneten Formation stabilere Ausdrucksformen für verwandtschaftliche Beziehungsgefüge fanden. Clément Blanc-Riehl / Ambre Vilain (S. 67–90) zeigen an Mikroarchitekturen auf französischen Fürstinnensiegeln des ausgehenden 13. und der ersten Hälfte des 14. Jh. die Gestaltungsmöglichkeiten von Goldschmieden und Siegelschneidern, die auf einer breiten Palette zwischen Dekor und bedeutungstragend changieren. Damit beleuchten sie eine bei der Interpretation von Siegeln meist zu kurz kommende Facette. Die Hg. (S. 91–116) stellt die Siegel der Frauen der ersten beiden Anjou-Könige von Neapel sowie der aus eigenem Recht herrschenden Königin Johanna († 1383) vor; diese führte wie ihre männlichen Vorgänger ein rundes Münzsiegel, dessen eine Seite sie thronend zeigt, ersetzte aber die Reiterseite durch ein aufwendiges Wappenmotiv. Die Königsgemahlinnen hingegen bezeichneten sich als regina, führten aber spitzovale Siegel, die sie zwar bekrönt, aber stehend zeigen. Marta Serrano-Coll (S. 117–137) bietet eine Übersicht über die bislang bekannten Siegel laikaler Frauen im Katalonien des 13. und 14. Jh. und stellt Unterschiede zu den aus Europa bekannten Befunden fest, für die sie erste Erklärungsansätze vorstellt. Ebenfalls aus Katalonien stammt das Reitersiegel der Caecilia von Foix, Gräfin von Urgell, von 1264, an dem Laurent Macé (S. 139–153) zeigt, dass mittels Typenwahl, Arrangement einzelner Elemente sowie der Wappen vielfältige Möglichkeiten vorhanden waren, um sehr weite Bezüge zu verwandtschaftlichen Beziehungen herzustellen, die Identität und Rang der Sieglerin zum Ausdruck brachten. Die Komplexität der dynastischen Repräsentation durch Wappen und Siegelikonographie hebt Gergely Kiss (S. 155–169) auch für die Siegel der aus Ungarn stammenden Clementia, Gemahlin Ludwigs X. von Frankreich, hervor. Imre Takács (S. 171–180) verortet das Münzsiegel der Maria von Anjou, Königin von Ungarn, auch in den Zusammenhang einer 1383–1385 geplanten Eheverbindung mit dem Valois Ludwig von Orléans. Die Beiträge dieses schön bebilderten Bandes zeigen die Fruchtbarkeit sowohl quantitativer Ansätze als auch detaillierter Einzelanalysen bei der Erforschung von Frauensiegeln. Insbesondere die letzten vier Studien ordnen einzelne Siegel sehr breit in ihren historischen sowie sigillographischen Kontext, zum Teil auch den anderer Medien, ein. Dies ermöglicht teilweise sehr präzise Interpretationen der Siegel, deren Gemeinsamkeit das Spannungsfeld von familiär-dynastischen Bezügen, Rangproduktion und individueller Verortung in diesem System ist. Die ersten fünf Beiträge zeigen die hierzu notwendigen allgemeineren Fragestellungen und methodischen Herangehensweisen, die überdies geprägt sind von interdisziplinären Zugriffen insbesondere zwischen Geschichte und Kunstgeschichte.

Andrea Stieldorf