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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Paul Schweitzer-Martin, Kooperation und Innovation im Speyerer Buchdruck des ausgehenden Mittelalters (Materiale Textkulturen 37) Berlin / Boston 2022, De Gruyter, XV u. 368 S., Abb., ISBN 978-3-11-079646-9, EUR 114,95. – Diese Heidelberger Diss. von 2021 aus dem SFB 933 wurde für den Druck nur geringfügig überarbeitet. Sie geht auf verschiedene Seminare zurück, die Klaus Oschema (jetzt Bochum) und Carla Meyer-Schlenkrich (jetzt Münster) von 2012 an hielten. Sch.-M. strebt nach dem Vorbild dieser Forschungsrichtung eine Neubegründung der Inkunabelforchung an, die sich nicht mehr in Typenbestimmung und Datierungsfragen erschöpft, auch wenn die Zuweisung an bestimmte Druckerwerkstätten hier mehr denn je von Relevanz ist. Die Beschränkung auf einen Druckort – hier Speyer – lag an sich nahe, ist aber durchaus problematisch, da Speyers Buchproduktion ohne weitere Untersuchungen nicht einfach als repräsentativ gelten kann und die untersuchten Drucker möglicherweise weniger voneinander, sondern von externen Offizinen beeinflusst wurden. Doch musste ja irgendwie ein Anfang gemacht werden. So erfahren wir Näheres über die Verlagsprogramme und die Gestaltung der beiden Drucker mit Namen Peter Drach – streng genommen waren es drei Generationen dieses Namens – und Johann und Conrad Hist, wobei das bereits 1962 edierte Rechnungsbuch Peter Drachs des Mittleren (Studienbibl. Dillingen, Hs. XV 488) mit großem Gewinn herangezogen wird. Daraus ergeben sich etwa genaue Angaben zur Auflagenhöhe der Jahre 1480–1503. Einer Auswertung der traditionellen Inkunabulistik verdankt Sch.-M. die Bestimmung der Typensätze, bei den Brüdern Hist sind es sechs, bei den Drachs respektable 30, die entsprechend der Neuorientierung des Buchhandels nach 1480 stark vermehrt wurden. Ähnlichkeiten mit Typen in der süddeutschen Region kann Sch.-M. dabei nur andiskutieren. Dass ohne Belege der Einsatz von Rotdruck als „Innovation Peter Drachs d. M.“ erwogen wird (S. 103), soll nicht bestritten werden – es hätte aber doch eine Prüfung älterer Offizinen erfordert (Sensenschmidt?). Ein wichtiges Kapitel gilt den Provenienzen der heute noch erhaltenen Exemplare der Speyerer Offizinen, die als Quelle für die zeitgenössische Verbreitung der Produktion ausgewertet werden (S. 208–252). Für eine Monographie zu komplex ist die Frage nach den inhaltlichen Schwerpunkten und ihrer typographischen Umsetzung, einschließlich der kaum beherrschbaren Flut von Paratexten (kleine und kleinste Beigaben, Widmungsbriefe, Epigramme usw.). Mit Johannes Trithemius und Jakob Wimpheling werden zwei bedeutende Frühhumanisten als Kunden herausgestellt, doch wäre über die Nennung von Kurztiteln und GW-Nummern hinaus nach dem ‘Platz im Leben’ dieser Käufe zu fragen. Überhaupt sollte künftig anstelle einer mechanischen Auflistung von Kurztiteln und GW-Nummern auch bei den katechetischen und homiletischen Texten („Predigtsammlungen“, „Theologische Kompendien“, S. 59, Tab. 1) die Verortung in der scholastischen Diskussion des späten 15. Jh. aufgezeigt werden. Das ist keine Forderung an diese Monographie, sondern an die spätma. Bildungsgeschichte generell: Die enorme Verbreitung der Sermonesreihen des Hendrik Herp OFM (S. 55), die Drach d. M. 1484 druckte (GW 1225), erklärt sich ohne Einordnung in die flämische Meditationsliteratur der Devotio moderna nicht. Die detaillierte Untersuchung der verwendeten Papiere (S. 145–197) ist sicher willkommen, aber man sucht vergebens nach einer Würdigung der volkssprachlichen Bücher. Eine Volltextsuche im (wenn ich richtig gezählt habe) 316 Titel umfassenden Verzeichnis der Speyerer Drucke (S. 263–332) ergibt für das Wort „deutsch“ 95 Treffer, wobei es aber bei etlichen Katalogisaten unnötig zweimal auftritt; es ist also von 50–60 Titeln auszugehen, viele davon – aber keineswegs alle – Ephemera, was aber keineswegs Rückschlüsse auf die ökonomische Bedeutung erlaubt. Das Buch sollte der Buchforschung und den theologisch-philologischen Fachdisziplinen zum Anlass dienen, ihre gegenseitige Nichtbeachtung aufzugeben.

A. M.-R.