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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Agir en commun durant le haut Moyen Âge, éd. par Vito Loré / Geneviève Bührer-Thierry / Régine Le Jan (Haut Moyen Âge 49) Turnhout 2024, Brepols, 332 S., Abb., ISBN 978-2-503-60689-7, EUR 95. – Der Band ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit dem Ziel, unser Denken über frühma. Gemeinschaften neu zu justieren. Zwei Vorgängerbände haben sich mit maritimen und insularen Gemeinschaften (vgl. DA 78, 824–826) und bedrohten Gemeinschaften (2021) beschäftigt. Anders als sie interessiert sich der neue Band weniger dafür, was solche Gemeinschaften waren, als was sie taten. Wie die Hg. B.-T. / L. J. in der Einführung (S. 13–21) erklären, ist „Gemeinschaft des Handelns“ der Leitfaden, um zu erforschen, was Menschen taten, wenn sie zusammenkamen, und anhand dieser Handlungen besser zu verstehen, wie Gemeinschaften aufgebaut wurden. Der Band ist in zwei Teile untergliedert. Der erste erkundet verschiedene Formen kollektiven Handelns. Philippe Depreux (S. 25–38) untersucht, wie man sich im Karolingerreich zusammenschloss und zusammen an den Königshof ging, um Privilegien zu erlangen. Paolo Tomei (S. 119–134) bleibt ebenfalls im Herrscherpalast, um gemeinsames Handeln der Aristokratie zu erläutern, insbesondere seine Darstellung in der Vita metrica Anselmi des Rangerius. Im Italien der Karolingerzeit untersuchen Cristina La Rocca / Gianmarco De Angelis (S. 39–64) im Rückgriff auf eine Sammlung von brevia aus Sant’Ambrogio in Mailand die Beteiligung ländlicher Gemeinschaften an den Ritualen, mittels derer das Kloster Landbesitz an sich nahm, während Luigi Provero (S. 65–76) die Grenzen kollektiver Aktion der Landbevölkerung und ihre relative Schwachheit gegenüber den Herren ausmisst. Gemeinschaftliche Arbeit behandelt Catarina Tente (S. 89–105) in einem vorzüglichen Beitrag über Portugal aus archäologischer Perspektive – die im Band sonst fehlt –, während Adrien Bayard (S. 107–117) die Aufmerksamkeit auf Gemeinschaften von Salinenarbeitern an der Atlantikküste lenkt, die unter klösterlicher Herrschaft standen. Wendy Davies (S. 77–87) zeigt, dass es für kollektives Handeln in der Bretagne des 9. Jh. kaum Belege gibt, und stellt in Frage, ob man hier überhaupt eine kausale Verbindung zwischen kollektivem Handeln und Formierung einer Gemeinschaft ziehen kann. Das greifen die Beiträge des zweiten Teils auf und überlegen, ob Gemeinschaften unter Spannungen anders handelten als unbelastete, und, noch grundsätzlicher, ob Gruppen, die gemeinsam handeln, schon als Gemeinschaften betrachtet werden können. Laut Hans-Werner Goetz (S. 137–165) gilt das für die coniurationes der Merowinger- und Karolingerzeit jedenfalls nicht, während Iñaki Martín Viso (S. 229–248) und Igor Santos Salazar (S. 301–313) für die Iberische Halbinsel anhand von Aufzeichnungen über Streitfälle zeigen, wie vielfältig kollektives Handeln war, wobei sie auch die Distanz ausloten zwischen dem, was in den Quellen niedergelegt wurde, und dem, was wirklich geschehen war. Alban Gautier (S. 167–183) rekonstruiert in der angelsächsischen Literatur Verbindungen zwischen Häuptlingen und „heroischen Gemeinschaften“, die heroische Taten von Einzelnen förderten. Die übrigen Beiträge behandeln kirchliche Gemeinschaften. Johanna Jebe (S. 185–209) befasst sich eingehend mit einem Dossier des 9. Jh. aus Fulda, um die Funktionsweise der Mönchsgemeinschaft zu erkunden, während Giacomo Vignodelli (S. 279–300), der einen Konflikt zwischen dem Kathedralklerus von Verona und dem Bischof im 10. Jh. behandelt, es mit Kanonikern zu tun hat, und Marco Stoffella (S. 249–277) über Pisa, Lucca und Verona mit kirchlichen Reformen als Ursache für Spannungen. Schließlich sieht Laurent Jégou (S. 211–227) Konzilien als Ausdruck der Gemeinschaft der Kirche und deckt die Diskrepanzen auf zwischen dem Einheitsdiskurs, den sie verbreiteten, und ihren internen Uneinigkeiten. Was bleibt von ma. Gemeinschaften, wenn wir ihnen anhand ihrer Handlungen nachspüren? Diese Frage stellt sich Vito Loré (S. 317–322) in der Schlussbemerkung, in der er darüber reflektiert, unter welchen Umständen ma. Gemeinschaften in den Quellen sichtbar werden, und wie schwierig es ist, diese Befunde zu interpretieren. Doch indem er Anregungen der einzelnen Beiträge miteinander verknüpft, kann er auch zeigen, wie vielversprechend dieser Ansatz für eine weitergehende Erforschung frühma. Gemeinschaften ist. Der Sammelband ist ein guter Ausgangspunkt.

Álvaro Carvajal Castro (Übers. V. L.)