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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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John H. Arnold, The Making of Lay Religion in Southern France, c. 1000–1350 (Oxford Studies in Medieval European History) Oxford 2024, Oxford Univ. Press, XIX u. 524 S., 6 Abbildungen, 3 Karten, ISBN 978-0-19-287176-3. – Angekündigt und auch verwirklicht wird die Untersuchung eines weiten Feldes, das die religiösen Praktiken von Laien in einem großen zeitlichen Rahmen umfasst, und dies für das südliche, mittelmeerische Frankreich unter weitgehender Auslassung der Provence. Einbegriffen in die Darstellung sind von außen einwirkende Beeinflussungen und Normsetzungen (vor allem durch Päpste, Konzilien, Ordensgründungen und Ordensleitungen) sowie Ausstrahlungen in weitere Regionen Europas – ausdrücklich genannt werden Katalonien, Norditalien, Nordfrankreich und England. Das Thema dieses Buchs ist nicht eine Geschichte von Institutionen, von theologischen Konzepten, von kirchenrechtlichen Bestimmungen und von Höchstleistungen der Frömmigkeit, sondern untersucht wird die Alltagsgeschichte der Laien hinsichtlich ihrer religiösen Praktiken und deren Veränderungen, einschließlich der Formung durch Kleriker und Religiose. Das Thema ist nicht neu, der Vf. verweist auf den bisherigen Stand der Forschung und auf „inspirations“, die ihn bei seiner Untersuchung geleitet haben. Die Innovation seines Buchs besteht, wie er ausführt, darin, dass dynamische Entwicklungen, Neuerungen und Umbrüche im Vordergrund stehen. Unterschieden werden relativ stabile und längerfristige Manifestationen der Laienfrömmigkeit, die der Vf. bei Messfeiern, Wallfahrten, Reliquienverehrung, Zehntleistungen, Taufen und Bestattungen als gegeben ansieht und gegen neue Entwicklungen stellt. Diese bestehen in der Zunahme einer die gesamte Person ergreifenden, verinnerlichten Frömmigkeit, die eine aktivere Beteiligung an der Liturgie und vermehrte Kenntnisse der Inhalte des christlichen Glaubens verlangt und durch Predigten und Beichten wachgerufen und erfüllt wird, was das Risiko mit sich bringt, sich von einer sich verfestigenden, theologisch abgesicherten Dogmatisierung zu entfernen und in Häresien abzugleiten oder sich an pagane Relikte von Naturzauber anzuheften. Der Vf. untersucht auch die heterodoxen Glaubenspraktiken von Laien. Eine verinnerlichte Religiosität stelle die Liebe als höchstes Ideal christlicher Existenz heraus, was mit einer emotionalen Auffüllung der Handlungen der Frömmigkeit einhergehe. Die Gläubigen seien zur Gewissenserforschung angehalten, und sie verwirklichten sie. Andererseits seien neue Formen kollektiver Glaubenspraxis entstanden, wie gemeinsame Bußübungen und Anstrengungen zur Friedenssicherung. Eine weitere Neuerung sieht der Vf. in der – nicht zuletzt durch die Geldwirtschaft erleichterten – Diversifizierung von materiellen Gütern, die kirchlichen Einrichtungen und als Almosen gewährt wurden, und in der Nutzung konkurrierender Seelsorgeangebote, die die Bettelorden verwirklichten. Den enormen Ausbau von Einrichtungen der Armen- und Krankenfürsorge charakterisiert der Vf. als Ergebnis einer „charitable revolution“. Laien strebten zunehmend danach, ihr Leben als „good Christians“ zu führen. Damit waren Konflikte mit ökonomischen und politischen Anforderungen verbunden. Die Verurteilung des Wuchers durch Kleriker und die Suche nach Ausweichstrategien und Kompensation prägten zunehmend das religiöse Bewusstsein und religiöse Praktiken. Das Buch untersucht eine Fülle von deren Realisierungsmöglichkeiten, angefangen von der Beteiligung von Laien an der Herstellung von Frieden über die Förderung von neuen religiösen Gemeinschaften, die Einbindung in sakrale Räume (innerhalb von Kirchengebäuden und als heilig vorgeführten Städten), Anstrengungen, am Heilsgeschehen teilzuhaben, den Erwerb religiösen Wissens bis hin zur persönlichen Gestaltung des Glaubens. Das Buch ist mehr als eine Zusammenführung bisheriger Forschungen, es schlägt eine Brücke von quellennahen Untersuchungen (die mitunter aber im Anekdotischen verbleiben) hin zu umfassenden und generalisierenden Aussagen. Vollständigkeit ist gleichwohl nicht erreicht, ja es gibt überraschend anmutende Auslassungen, so die Beteiligung von Laien an den Kreuzzügen, die religiöse Formung durch Universitäten und die zunehmende Verbreitung von Ablässen als quantifizierbaren Instrumenten sowohl der jenseitigen Heilserwartung als auch der Finanzierung frommer Projekte (einschließlich des Baus und Unterhalts von Brücken). Nur knapp wird das Fegefeuer behandelt, ebenso knapp die Möglichkeit, in laikalen Bruderschaften Anteil am kirchlichen Leben zu gewinnen. Die spezifischen religiösen Lebensformen von Frauen außerhalb von Klöstern, auch als Beginen (besonders prominent waren diese in Béziers und Narbonne), und von Kindern werden weitgehend ausgeblendet. Am Rande sei vermerkt, dass Jakob von Vitry, anders als im Buch behauptet (S. 182), nicht dem Dominikanerorden angehörte, sondern Weltpriester war. Gleichwohl – der Wert dieses Werks soll nicht in Abrede gestellt werden: Es erstellt ein Fazit der bisherigen Etappen der Forschung und erweitert sie durch weitere regionale Befunde in einem für das gesamte okzidentale Europa wirkmächtigen Raum. Verdienstvoll ist das Finden und Deuten von Quellen, was schwierig ist, weil ja keine Geschichten von Institutionen angestrebt und verwirklicht wurde.

Hans-Joachim Schmidt