DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Clément de Vasselot de Régné, Pouvoir et solidarités d’une famille seigneuriale. Le „Parentat“ Lusignan entre France, Îles Britanniques et Orient latin (Xe–XIVe siècles) (Histoires de famille. La parenté au Moyen Âge 24) Turnhout 2024, Brepols, 795 S., 17 Farb-Abb., ISBN 978-2-503-59615-0, EUR 125. – Der Name Lusignan ist gut bekannt, dürfte vielen aber vor allem im Hinblick auf die Könige von Jerusalem und die Melusine-Dichtung vertraut sein. Tatsächlich bietet das weit ausgreifende Verwandtschaftsgeflecht der Herren von Lusignan, die vom 10. Jh. bis zum Aussterben in männlicher Linie im frühen 14. Jh. nachzuweisen sind, ein instruktives Beispiel für den Aufstieg und die Praktiken einer herrschaftlichen Dynastie. Der Band, hervorgegangen aus der 2018 in Nantes verteidigten Diss. des Vf., bietet ein sorgfältig erarbeitetes Gesamtbild, in dem der politisch-herrschaftliche Aufstieg der Lusignan (mit den Grafschaften La Marche, Angoulême, Eu, aber auch Herrschaften in England) ebenso detailliert entwickelt wird wie die vom Titel hervorgehobenen familiären Praktiken. Nach der umsichtigen Einführung (S. 19–40) schildern die drei Kapitel des ersten Hauptteils (S. 41–339) zunächst den herrschaftlichen Aufstieg (erst im Poitou, dann das Ausgreifen in die Normandie und nach England) und die Konsolidierung der erreichten Positionen, die oftmals durch hypergame Eheschlüsse erworben wurden (vgl. S. 502–504). Die Schaukelpolitik zwischen der englischen und der französischen Krone im späten 12. und frühen 13. Jh. findet hier ebenso ihren Raum (S. 69–102) wie die konkreten Herrschaftspraktiken (S. 155–265) und die Positionierung gegenüber konkurrierenden Familien und Institutionen (S. 267–339). Die drei Kapitel des zweiten Hauptteils thematisieren die familiären Strategien und Praktiken im engeren Sinn, gegliedert nach den Strukturen und der Organisation der Beziehungen innerhalb des Familienverbands (S. 345–465), den Erziehungs- und Heiratspraktiken und dem Umgang mit dem Tod (S. 467–586) sowie den religiösen Praktiken (Stiftungen, Grablegen, Pilgerfahrten) (S. 587–676; hier findet auch die ausführliche Darstellung zur Krone Jerusalem ihren Platz: S. 651–667). Ein konziser Schluss (S. 677–683) fasst die reichen Befunde zusammen; es folgen eine ausführliche Bibliographie (S. 685–758) sowie ein Index. Sorgfältig und dicht präsentiert, bietet der Band keine leichte Lektüre, aber zahlreiche Karten und genealogische Tafeln helfen bei der Orientierung. Für die Lusignan darf er als neuer Standard gelten, erschließt deren Geschichte aber auch für den Vergleich mit anderen Familien und Dynastien. Hervorgehoben seien insbesondere die Befunde zur erfolgreichen Organisation des Familiennetzes als „Parentat“, das ab dem 11. Jh. zwar deutlich patrilineare Züge annahm, zugleich aber zahlreiche Seitenzweige erfolgreich und dauerhaft zu integrieren verstand, indem man die interne Ordnung durch Kondominien und vasallitische Beziehungen strukturierte (S. 423–439), identitätsstiftende Wappen- und Namenspraktiken verfolgte (S. 346–395) sowie eine Praxis der Kooperation pflegte (S. 439–449). Mit seinem Streben nach Vollständigkeit trägt der Vf. zudem Informationen zu vielfältigen Phänomenen zusammen, die im Fokus der jüngeren Forschung stehen: Praktiken der Memoria (S. 619–633) geraten ebenso in den Blick wie die Grablege (S. 633–638) oder die Rolle von Emotionen (S. 450–465). Ein wenig bedauerlich ist, dass die vorliegende deutschsprachige Forschung so gut wie nicht herangezogen wird, die etwa zur Rolle der Freundschaft, zur spirituellen Verwandtschaft, zu Praktiken der Konfliktbeilegung oder zu herrschaftlichen Ritualen zusätzliche Präzisierungen geboten hätte. Dessen ungeachtet bleibt abschließend die hohe Qualität dieses Werks zu unterstreichen.

Klaus Oschema