Johannes Luther, Reformer und Vermittler. Bischöfliche Gruppenbildungen und Vernetzungen im burgundischen Raum 1032–1156 (VuF Sonderbd. 64) Ostfildern 2023, Jan Thorbecke Verlag, 619 S., 7 teilw. farb. Abb., ISBN 978-3-7995-6774-9, EUR 73. – Der Vf. untersucht in seiner verdienstvollen Studie, einer überarbeiteten Züricher Diss. (2021), den Einfluss der vielfältig vernetzten Bischöfe im Regnum Burgundiae (Kirchenprovinzen Vienne, Moûtiers und Besançon, aber ohne die Provence) und im westfränkisch-französischen Herzogtum Burgund (Kirchenprovinz Lyon, aber ohne die Kirchenprovinz Sens, Karten S. 15 u. 48) auf die Stabilität in diesem seit spätkarolingischer Zeit durch Königsferne und herrschaftliche Zergliederung geprägten europäischen Zentralraum. Die epochenübergreifende Studie setzt in der Spätzeit des Rudolfingerreichs unter dem letzten König Rudolf III. (993–1032) ein, nach dessen Tod das Burgunderreich an das Imperium der Salier fiel, und führt bis in die frühe staufische Zeit, als das Kaiserreich mit der Heirat Friedrich Barbarossas mit Beatrix von Burgund (1156) seine Herrschaft in Burgund noch einmal intensivieren konnte. Die umfangreiche, mit einem nützlichen Anhang (prosopographische Listen, Stammtafeln, ausgewählte Quellen mit Übersetzung) versehene Studie fügt sich in eine Vielzahl von Burgundstudien der letzten Jahre ein, über die der Vf. einleitend informiert (S. 22–24). Im Unterschied zu diesen ordnet er das Wirken der bischöflichen Reformer (Hugo I. von Besançon, Halinard von Lyon, Leodegar von Vienne, Hugo von Die und Guido von Vienne, um nur die Profiliertesten zu nennen – auch der Kreis um den Abt Bernhard von Clairvaux wird näher untersucht) stärker in ihren gesamtburgundischen politischen (Königtum, regionale Herrschaften) und sozialen (Herkunft, Kontakte, Papsttum) Kontext ein, wodurch es ihm gelingt, den politisch-gesellschaftlichen Zusammenhalt beider burgundischen Länder und ihre kirchenreformerische Ausstrahlung im europäischen Kontext transparenter zu machen. Indem der Vf. den Fokus auf insgesamt zehn (Erz-)Bischöfe und einen Abt legt, geraten allerdings die übrigen Bischöfe (die prosopographischen Listen im Anhang, S. 492–537, verzeichnen ca. 200 Prälaten) in den Hintergrund. Wie weit der Reformgedanke schon in der Regierungszeit Rudolfs III. nicht nur den Episkopat, sondern auch weltliche Kreise erfasst hatte, illustriert ein bemerkenswertes Zeugnis aus der Diözese Genf. In der Urkunde Hugos II. von Genf (um 993–1020), mit der dieser Abt Odilo von Cluny Ende 1000 die Kirche des heiligen Viktor in Genf zur Reform überträgt (MGH DD Rudolf. Nr. 148), ist von „häufigen Gesprächen“ die Rede, die der Bischof mit dem König und weiteren amici über die anstehende Kirchenreform geführt hat: frequenter etiam cum seniore Rodulfo ceterisque amicis tractare disposui, qua ratione loca nostra diocesi posita … in meliorem statum repararentur nostra industria. Dem Kreis der reformwilligen amici des Bischofs, eines Neffen der Kaiserin Adelheid, die ein Jahr zuvor den Bischof in Genf aufgesucht hatte, gehörten auch Laien an, da die Übertragung der Viktorkirche an Cluny nicht nur mit Einwilligung (permissio) des Königs und dessen Bruders, des Erzbischofs Burchard II. von Lyon, sondern auch mit Unterstützung zahlreicher (nicht namentlich genannter) Grafen und weiterer vornehmer Laien (ceterorumque comitum et nobilium virorum hortatu) ausgestellt wurde. – Den Zugang zum umfangreichen Anhang (S. 491–589) hätte der Vf. mit der Auflistung seiner heterogenen Teile im Inhaltsverzeichnis erleichtern können. Auch für die Orientierung in der nützlichen Prosopographie der Bischöfe wäre eine vorangestellte Übersicht der einzelnen Bistümer nützlich gewesen. – Vgl. jetzt auch Tobias P. Jansen, in: H-Soz-Kult, 29.01.2025.
Herbert Zielinski