Erin T. Dailey, Radegund. The Trials and Triumphs of a Merovingian Queen (Women in Antiquity) Oxford 2023, Oxford Univ. Press, XIV u. 213 S., 11 Abb., ISBN 978-0-19-769920-1, GBP 17,99. – Radegund ist eine der bekannteren europäischen Königinnen des 6. Jh. Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Frauen ihres Standes ist sie in der Geschichtsschreibung sehr präsent, was hauptsächlich damit zu tun hat, dass sich um ihre Person bald ein Heiligenkult entwickelt hat. Die ersten Heiligenleben erschienen nicht lang nach Radegunds Tod, die älteste Vita verfasst von Venantius Fortunatus († um 605), dem späteren Bischof von Poitiers, der ein persönlicher Vertrauter der Königin war, die zweite von Baudonivia, einer Nonne des Klosters Ste.-Croix in Poitiers, um die Wende zum 7. Jh. Das Kloster war von Radegund selbst kurz nach ihrer Heirat mit König Chlothar I. († 561) gegründet worden, und sie lebte dort in asketischer Entsagung über 30 Jahre lang bis zu ihrem Tod. Auch Gregor von Tours († 594) bietet in seinen Historien Informationen zum Leben der Königin. Gregor war als Bischof von Tours ebenfalls persönlich mit ihr bekannt. Obwohl also über Radegund mehr bekannt ist als über viele andere frühma. Königinnen, ist das doch eine recht schmale Quellenbasis, auf die D. seine Biographie der Königin stützen kann. Dazu kommen die Konventionen der hagiographischen Literatur, mit denen man sich auseinandersetzen muss, will man ihr Leben historisch korrekt rekonstruieren. D. gelingt das durch eine sehr gründliche Lektüre und sorgfältige Analyse der Quellen, die sich gegenseitig korrigieren. Das Buch ist, wie man es von einem solchen Werk erwartet, chronologisch aufgebaut: Die einzelnen Kapitel behandeln Radegunds Kindheit in Thüringen, ihre Heirat, ihre Zeit als Königin, ihre Trennung von Chlothar, die Gründung von Sainte-Croix, ihre politischen Aktivitäten nach Chlothars Tod, ihren eigenen Tod und schließlich ihr Erbe. Leider sieht man diese Gliederung den Kapitelüberschriften nicht an, und auch die jeweiligen Einleitungen machen nicht ganz klar, worauf das Kapitel hinauswill. Das mag mit D.s Entscheidung zu tun haben, „for an audience wider than what might usually be expected for an academic work“ zu schreiben (S. 8); manchmal setzt er eine Anekdote oder eine provokante These ein, was vielleicht zur Lektüre verführt, aber nicht deutlich genug hervorhebt, worauf das Kapitel hinauswill. Aber während seine detaillierten Interpretationen und seine genaue Lektüre der Quellen hervorzuheben sind, erscheint es kaum nachvollziehbar, inwiefern das attraktiv für ein nichtakademisches Publikum sein soll. Für die Fachwelt wiederum wird D.s Erzählung problematisch, weil sie oft spekulativ bleibt. Als Beispiele seien genannt die nur oberflächlich begründete Zurückweisung einer Überlieferung, nach der Radegund einen heidnischen Schrein zerstört, seine Behauptung, dass Radegund sich ein Kind gewünscht habe – obwohl ihm ihre offensichtliche Abscheu vor Chlothar bewusst ist –, seine Beteuerung, Chlothar habe Radegund nach ihrer Flucht großmütig behandelt. Solche Annahmen sind verständliche Zugeständnisse an ein breiteres Publikum: Sie vereinfachen komplexe Sachverhalte, um eine kohärente Erzählung zu ermöglichen, und sie ersparen einem detaillierte, mitunter langwierige Diskussionen. Letztlich ist das Buch damit nicht zu der maßgeblichen Lebensbeschreibung Radegunds geworden, die es hätte sein können. Dennoch ist es die umfassendste Biographie der Königin in englischer Sprache, die verfügbar ist. Damit hat es großen Wert, insbesondere für die Lehre und für alle Forscher, deren Themen nur am Rand mit Radegunds Leben zu tun haben. Allerdings sollte man sich der manchmal spekulativen Natur der Erzählung bewusst sein und das Buch mit Vorsicht gebrauchen. Wer sich tiefer mit Radegunds Leben auseinandersetzen oder weitergehende Folgerungen zu frühma. Königinnen oder zu weiblicher Frömmigkeit daraus herleiten will, wird weiterhin bei Venantius, Baudonivia und Gregor selbst nachschlagen müssen, was sie über Radegund zu sagen haben.
Matthew Firth (Übers. V. L.)