Regula Magistri. Die Regel des unbekannten Magisters. Editio critica. Nach den handschriftlichen Textzeugen hg. von Klaus Zelzer (Spiritualität im Dialog 13) Wien 2023, LIT Verlag, 260 S., ISBN 978-3-643-51163-8, EUR 29,90. – Z. liefert mit seiner Edition der im 6. Jh. entstandenen Regula magistri einen Gegenentwurf zu der weithin verwendeten Version, die Adalbert de Vogüé 1964 in den Sources Chrétiennes publiziert hat. Wie der Hg. selbst betont, hat diese unter schwierigen Umständen entstandene Neuedition ein unfertiges Erscheinungsbild. Die kurz gehaltene Einleitung beschränkt sich im Wesentlichen darauf, anhand einer Reihe von Beispielen zu belegen, wo es notwendig ist, von de Vogüés Edition abzuweichen. Eine kritische Neuedition im CSEL wie ursprünglich geplant hätte sicherlich geschliffener ausgesehen und eine umfangreichere Einleitung enthalten. Der Dissens zwischen de Vogüé und Z. über die bestmögliche Präsentation der Regula magistri beruht auf der Tatsache, dass der Text in zwei unterschiedlichen Überlieferungssträngen erhalten ist, die beide zahlreiche grammatikalische Fehler und obskure Passagen enthalten. Der ältere Überlieferungsstrang besteht aus zwei auf das frühe 7. Jh. datierten Hss., der jüngere auf der einzigen karolingischen Hs. der Regelsammlung des Benedikt von Aniane und den in dessen Concordia regularum enthalten Exzerpten der Regula magistri. De Vogüés Edition nimmt die ältere Überlieferung als Ausgangspunkt, präsentiert den Text mit den darin enthaltenen orthographischen und grammatikalischen Eigenheiten und macht keinen Versuch, die Irrtümer zu korrigieren. Z. hingegen folgt im allgemeinen der grammatikalisch und orthographisch „besseren“ karolingischen Überlieferung, geht dabei allerdings über die Rekonstruktion eines Subarchetyps hinaus und versucht, anhand seiner profunden Kenntnis spätantiker Latinität und Lese- und Schreibpraxis zu ermitteln, wo sich vor der Entstehung der erhaltenen Überlieferungsstränge Fehler eingeschlichen haben, um diese dann zu korrigieren und damit – wie er selbst aus einer Kritik an seinem Editionsprojekt zitiert – am Text „herumzubessern“. Er produziert damit eine grammatikalisch und inhaltlich verbesserte Textrekonstruktion, die durch keine der erhaltenen Hss. belegt ist. Dies schließt zum Beispiel ein, dass er die in allen vollständigen Hss. vorliegende Reihenfolge (Kapitelliste – Prolog – Thema – Regel) umwirft und die Kapitelliste nach dem Thema einfügt. Würde es sich hierbei um die einzige verfügbare Edition handeln, wäre Z.s Ansatz problematisch. Als Ergänzung und Gegenvorschlag ist die Neuedition jedoch nützlich und verdienstvoll. Mit dem Inhalt der Regula magistri befasst sich Z. nur insofern, als dieser für seine textkritischen Entscheidungen eine Rolle spielen könnte. Hinsichtlich der Datierung des Textes und der vor allem in den 1990er Jahren heftig diskutierten Frage des Verhältnisses zwischen der Regula Benedicti und der Regula magistri zitiert Z. den traditionellen Forschungsstand, ohne ihn kritisch zu hinterfragen oder neuere Ansätze der Regelforschung zu berücksichtigen. Das ist schade, denn ein Studium des Textes, das philologische und textkritische Ansätze mit einer Analyse des theologischen Inhalts und des monastischen Programms verbindet, wird vermutlich zu dem Schluss kommen, dass es sich bei der Regel nicht um das Werk eines einzelnen „Magisters“ handelt, sondern um einen aus den Werken verschiedener Autoren zusammengefügten Text, wobei einer (oder mehrere) dieser Autoren auch zur Regula Benedicti beigetragen hat. Z.s Neuedition wird Adalbert de Vogüés Version wohl kaum ersetzen, zumal sich sein Kommentar weitgehend auf Textvarianten und Kritik an den Entscheidungen seines Vorgängers beschränkt, jedoch wenig Information zu Inhalt und Intertextualität liefert. Zudem lassen sich die von Z. vorgezogenen Überlieferungsvarianten auch aus dem Apparat der Sources Chrétiennes-Edition erschließen. Denjenigen, die tatsächlich an einer inhaltlichen Gesamtanalyse der Magisterregel arbeiten werden, um die Frage der Autorschaft neu aufzurollen, werden Z.s Neuedition und die von ihm vorgenommenen Rekonstruktionsversuche als vortreffliche Vorarbeit dienen.
Albrecht Diem