David L. d’Avray, The Power of Protocol. Diplomatics and the Dynamics of Papal Government, c. 400–c. 1600, Cambridge 2023, Cambridge Univ. Press, XI u. 266 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-1-009-36111-8, GBP 85. – Der Vf., der sich durch zahlreiche Studien um die Geschichte des Papsttums von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit verdient gemacht hat, legt erneut eine beachtenswerte Synthese seiner Forschungsergebnisse, vor allem aber seiner langjährigen Lehrtätigkeit am Univ. College London vor. Gegenstand der Monographie ist die Papstdiplomatik, die d’A. als eine der „twin pillars of the training of medieval historians“ (S. 1) ansieht. Eine klassische Einführung in die Diplomatik möchte die Studie aber nicht sein. Stattdessen stellt d’A. die grundlegende Überlegung ins Zentrum, wie das Papsttum das religiöse Leben in Europa ohne die finanziellen und militärischen Ressourcen eines weltlichen Staats regeln konnte („Hageneder’s question“), und versucht diese Frage mithilfe der Diplomatik zu beantworten. Nach der Einführung (S. 1–13) folgt ein konziser Überblick über die Forschungsgeschichte zur Diplomatik (S. 14–37), in dem d’A. nach Heinrich Fichtenau eine Unterscheidung zwischen der von Rabikauskas, Frenz, Pagano, u.a. betriebenen „pure school“ und den „applied Diplomatics“ etwa von Boyle, May und Bombi trifft (S. 26f.). Zwischen diesen beiden Polen bewegt er sich in den folgenden chronologischen Kapiteln: Das 3. Kapitel (S. 38–76) behandelt den Zeitraum von 400 bis 1150, ausgehend von den Proömien der spätantiken Dekretalen und ihrem Einfluss auf die Verbreitung der petrinischen Vorrangstellung (S. 39–42) über die frühma. Privilegien und die damit zusammenhängenden Praktiken der Exemtion bis zu den Veränderungen im Reformpapsttum. Die verschiedenen Dynamiken des 12. Jh. und die damit veränderte Stellung des Papsttums lassen den Vf. ein neues Kapitel (S. 77–136) beginnen, das bis zum Einschnitt des großen abendländischen Schismas im Jahr 1378 reicht. Hier stellt er die päpstliche Administration als „demand-driven“ und „self-funded“ (S. 84) dar, geht auf die Unterscheidung von Gratial- und Justizbriefen sowie ihre Hybridformen und Normierungen ein (S. 92–100) und schildert den Geschäftsgang mit möglichen Abkürzungen (S. 115–124). Zentral in diesem Kapitel ist d’A.s Feststellung, dass durch die Arbeitsteilung an der Kurie und die Formelhaftigkeit „remarkably little mental activity in Rome“ (S. 135) benötigt wurde. Das 5. Kapitel (S. 137–185) behandelt nicht nur das Spät-MA, sondern geht darüber hinaus, indem es die Veränderungen durch das Konzil von Trient mit einbezieht. Themen sind hier die Auswirkungen des Schismas, die sich etwa in der Ausstellung von Papsturkunden durch die camera (S. 139f.) oder in der Etablierung der Gattung Breve (S. 140–143) äußern, die Pönitentiarie des Spät-MA (S. 148–151) sowie die Veränderungen des 16. Jh. (S. 155–181). In einem knappen abschließenden 6. Kapitel (S. 186–195) versucht der Vf. auf anregende Weise Kontinuitäten von der Spätantike bis in die Neuzeit aufzuzeigen. Damit beendet er eine durchaus gelungene Studie, deren vielfältige Anknüpfungspunkte an dieser Stelle nicht genug gewürdigt werden können, die aufgrund ihrer Kürze aber gerade die komplexen Veränderungen und die damit einhergehenden Diskussionen oftmals nur oberflächlich behandeln kann. Um nur zwei Beispiele zu geben: Die besondere Problematik der Fälschungen im 12. und 13. Jh. und ihrer Auswirkungen auf die Urkunden bleibt genauso unerwähnt wie die Bedeutung, die Kanzlei und Kammer durch die verschiedenen Taxen (z.B. Kompositionstaxe, Annaten, Servitien, Balista, etc.) für den Geldbedarf der Päpste hatten. Dies schmälert aber in keiner Weise die Leistung des Vf. oder die Bedeutung der Studie, die durch Anhänge mit Transkriptionen der verwendeten Texte (S. 196–230), Bilder von Urkunden (S. 233–238) und eine Auswahlbibliographie (S. 239–259) auch hervorragend für die Lehre geeignet ist.
P. W.