A Companion to Medieval Pisa, ed. by Karen Rose Mathews / Silvia Orvietani Busch / Stefano Bruni (Brill’s Companions to European History 28) Leiden / Boston 2022, XXIII u. 623 S., Abb., ISBN 978-90-04-38258-9, EUR 231. – Der Gegenstand des Bandes, das ma. Pisa, wird im Vorwort von den Hg. definiert: „a city and an icon“ (S. XI) – eine programmatische Aussage, die im Prolog von David Abulafia (S. 17–36) und im Epilog von Franco Cardini (S. 497–518) ein Echo findet. Die Beiträge sind in acht Sektionen untergliedert. Die erste befasst sich mit den Dynamiken der Umweltveränderungen und der Zeit der Etrusker und Römer. Darauf folgen Abschnitte zur Archäologie, zu Institutionen und politischen Strukturen, Stadtentwicklung, Wirtschaft (mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Expansion im Mittelmeerraum), die Organisation des Hafens, Kirchen und Spiritualität, Kunst und Kultur. Die vielstimmige Zusammenstellung ermöglicht eine präzise Vorstellung vom Stand der Forschung zum Thema: welche Aspekte in der Geschichtswissenschaft vertieft behandelt wurden und von welchem Blickwinkel ihre Interpretation bestimmt wurde, und was bisher eher im Hintergrund steht. Deutlich begegnet man immer wieder einer traditionellen Deutungsweise, die in Richtung einer Meistererzählung tendiert. Dieser Zugang will ein „enduring and unique, iconic image“ vermitteln (M./B., Introduction, S. 1–16, hier S. 15), konzentriert auf das „golden age“ der Stadt (S. 1), die Epoche, in der Pisa seine Identität als Seerepublik zur vollen Ausprägung bringen sollte und die gewissermaßen eingefasst wird von Seekriegen mit gegensätzlichem Ausgang (vgl. Cardini, S. 511). Auf der einen Seite stehen die ersten Siege über muslimische Mächte am Beginn des 11. Jh., auf der anderen die Niederlage gegen Genua 1284 bei Meloria. Diese Episoden erscheinen hier gewissermaßen als Morgenröte und Abenddämmerung eines Kolonialreichs (vgl. Cédric Quertier, The Pisan Economy from the Tenth to Fifteenth Century: A Parabolic Trajectory, S. 245–276, bes. S. 276), das in Sardinien seine erste Kolonie hatte (vgl. Abulafia, S. 20) und in der Piazza dei Miracoli seinen Tempel. Was diesem blendenden Lichtschein vorausgeht, läuft Gefahr, als Vorgeschichte (vgl. Abulafia, S. 28) oder als Vorzeichen interpretiert zu werden (Antonio Alberti, Pisa in the Early Medieval Period, S. 81–106, bes. S. 104), vor allem wenn Quellen, die im „golden age“ entstanden sind, rückblickend auf diese Phänomene gedeutet werden. Die spätere Zeit hingegen zeigt sich als unausweichlicher Abstieg, der in der Vernichtung des Stadtstaats durch die florentinische Eroberung 1406 mündet. Immerhin erinnern Monica Bini / Veronica Rossi, Pisa and Its Natural Environment (S. 39–58), daran, dass die Geschichte sowohl der Umwelt als auch der Gesellschaft ein komplexes Gewebe sich ständig verändernder Dynamiken ist (S. 40). Und, wie besonders Mauro Ronzani, Bishops, Archbishops, and Religious Institutions from the Ninth to the Fifteenth Century (S. 361–382), Giuseppe Petralia, The Late Middle Ages and the Florentine Conquest (S. 163–183), und Alma Poloni, Politics, Institutions, and Society in Pisa during the Communal Era (Late Eleventh to Late Fourteenth Century) (S. 139–162), zeigen, lohnt es sich, die beruhigenden, idealisierenden Bilder beiseite zu schieben, die letztlich im Außerzeitlichen beheimatet sind. Anstelle des chronologischen Einschnitts im 10. Jh., der das Buch ein wenig einengt, könnte man sich eine andere Periodisierung vorstellen, die eine bessere Würdigung des pisanischen Fallbeispiels im Kontext und im Vergleich ermöglichen und eine tatsächlich spürbare Besonderheit sichtbar machen könnte. Wie in den anderen civitates der Markgrafschaft Tuscien lässt sich eine Phase einschneidender Veränderungen nicht im frühen 11. Jh., sondern erst in den Jahrzehnten zwischen 1070 und 1120 mit der „rivoluzione signorile“ ausmachen. Der Prozess der Umstrukturierung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, der damals in Schwung kam, ist im Fall von Pisa durch zwei ausgeprägte Eigenarten charakterisiert, einerseits was die unerwartet starke politische Rolle des Bischofs angeht, andererseits durch die fortwährende Anwesenheit von milites in der Stadt, die ihren gesellschaftlichen Rang und ihre ökonomischen Vorteile auch nach der Zerstörung des markgräflichen Palasts behielten. Einen zweiten Wendepunkt bilden die Jahrzehnte der „rivoluzione commerciale“ zwischen 1250 und 1280. Damals begann für Pisa ein langes 14. Jh., dessen Endpunkt mit dem Jahr 1406 gleichgesetzt werden kann – nicht weil diese Zeit so etwas wie den vorbestimmten Herbst nach der Niederlage von Meloria darstellen würde, vielmehr, weil sich in ihr die institutionellen Strukturen des „comune di popolo“ herausbildeten und stabilisierten und weil die Stadt in diesem Zeitrahmen mit mehr verschiedenen Formen der Signorie experimentierte als jede andere Stadt in der Toskana.
Paolo Tomei (Übers. V. L.)