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Amable Sablon Du Corail, La guerre, le prince et ses sujets. Les Finances des Pays-Bas Bourguignons sous Marie de Bourgogne et Maximilien d’Autriche 1477–1493 (Burgundica 28) Turnhout 2019, 634 S., ISBN 978-2-503-58098-2, EUR 95, eISBN 978-2-503-58099-9. – Die ausgesprochen tiefschürfende Arbeit ist das Ergebnis mehrjähriger, gar jahrzehntelanger und aufwendiger Recherchen – eine Lebensleistung, die in ihrem Erkenntnisreichtum gewürdigt sein will. Der Vf. hat seine Thèse 2001 an der École des Chartes vorgelegt, sodann mehrere Aufsätze veröffentlicht, nun folgt gleichsam die Quintessenz. Hinter Themenwahl und Fragestellung steht gewiss das von Philippe Contamine († 2022) und dessen Thèse von 1972 (vgl. DA 30, 327f.) geschaffene Interesse an der Sozialgeschichte des Kriegs. Das Werk ist angelegt als Tiefenbohrung eines politisch und militärisch äußerst bewegten Zeitraums von „nur“ 16 Jahren, der speziell im Hinblick auf die Kriegsfinanzierung befragt wird. Es steht damit im Zusammenhang der Bestrebungen der letzten etwa 50 Jahre, eine Lücke in der Historiographie der Burgundischen Niederlande zu schließen. Lange standen entweder die vier ‘großen’ Herzöge des 14./15. Jh. oder Philipp der Schöne und Karl V. und die Anfänge der Habsburgischen Niederlande des frühen 16. Jh. im Mittelpunkt des Interesses. Dabei sind die Krisenjahre unter Maximilian (bis 1482 zusammen mit Maria, der Erbtochter Karls des Kühnen) bis 1493/94 entscheidend für den Zusammenhalt und die Fortexistenz des aus mehreren Ländern bestehenden Herrschaftskomplexes. Die Arbeit zerfällt in zwei große Teile. Nach zwei einleitenden Kapiteln gibt es zunächst einen großen chronologischen Abriss (S. 125–269), der seinen eigenen Wert hat, weil in ihm die ununterbrochenen Verhandlungen mit den Ständen und die Kassenmaßnahmen vor dem Hintergrund der Feldzüge und der (wenigen) gewonnenen und (häufigeren) verlorenen Schlachten, die Kampagnen zur Rüstung bzw. Gewinnung von Truppen in ihren jeweiligen Kontext gestellt werden. Wegen der immer wieder wechselnden politischen Lage haben diese Kapitel ihre Berechtigung. Beispielsweise hat Maximilian nach der Gefangenschaft in Brügge im Frühjahr 1488 mehrere Jahre lang die Niederlande systematisch gemieden, erst zur Huldigungsreise seines Sohnes Philipps des Schönen 1493/94 fand er sich wieder ein. Vor Ort ließ er sich in dieser Zeit von Herzog Albrecht von Sachsen vertreten, der den Krieg gegen die Stände fortführte, zum Schluss vor allem gegen Philipp von Kleve-Bartenstein, der auf die Seite der Aufständischen gewechselt war und sich mit der Finanzverwaltung und den Ständen ins Benehmen setzte. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Einzelfragen (S. 273–463). Kap. 8 stellt dabei so etwas wie eine Überleitung dar mit dem Versuch, die Gesamteinnahmen und die Währungsverhältnisse des flämischen Groschen im Hinblick auf die Münzen der Nachbarländer zu ermitteln. Immerhin kann der Vf. näherungsweise so etwas wie ein Budget ermitteln (Diagramm Nr. 8 auf S. 606), das von extrem starken Schwankungen geprägt war: Guten Einnahmejahren (1479, 1486, 1489) standen abrupt schlechte gegenüber (1478, 1484, 1487, 1488, 1491), die Finanzmittel konnten sich von einem Jahr aufs andere halbieren, woraufhin sie anschließend wieder ebenso zügig anstiegen – moderne Konzerne würden derartige Schwankungen nicht überleben. In Kap. 9 geht es um die Verhandlungen mit den Ständen, zum einen den Generalständen aller Territorien, zum anderen den einzelnen Landständen, zwischen denen es teils gravierende Unterschiede gab (die starke Stellung des Adels im Hennegau sei genannt, wo die Entscheidungsfindung zugunsten Maximilians schneller ging, wenn die größte Stadt des Landes, Mons, einwilligte). Die brabantischen Quartiersvororte Antwerpen, Brüssel und Löwen zeigten sich Maximilian gegenüber einmal großzügig, als es nach der Ermordung Bischof Ludwigs von Bourbon 1482 gegen das feindliche bzw. von den burgundischen Niederlanden abgefallene Fürstbistum Lüttich ging (S. 301), das nördliche ’s-Hertogenbosch spielte eine Sonderrolle (S. 294), weil es stärker von den Kriegen in Holland-Zeeland und Utrecht und in Geldern betroffen war. Die ergänzende Finanzierung durch Kreditaufnahme ist Gegenstand von Kap. 10. Am Anfang stehen die italienischen Bank-/Kaufmannshäuser in Brügge (S. 314–322) mit dem bemerkenswerten Befund, dass sie nur eine unbedeutende Rolle spielten, nur 4 % der Einnahmen Maximilians kamen aus ihren Kassen. Die Italiener hatten vor allem ab 1480 keine Machtstellung mehr bei Hofe, was einen deutlichen Unterschied zu Herzog Johann ohne Furcht und den Rapondi zu Ende des 14. Jh. bedeutet. Nicht zuletzt lebten die kämpfenden Verbände vom Land, d.h. von den eigenen Untertanen, die Grenze von der Besteuerung zur Schutzgelderpressung war fließend (S. 332). Erst recht galt dies für die aufständischen Landgemeinden bzw. Kirchspiele in Flandern, die von Truppen, die dem Landesherrn loyal waren, eigens belastet wurden. Die Landgemeinden wiederum lenkten die Truppen gerne um in die Nachbarschaft, „wo das Gras grüner und das Vieh fetter“ wären (S. 333). Verdienst Albrechts von Sachsen ist es, dieses System aufgehoben zu haben. Aus all dem entsteht die Frage, ob die Truppenanführer so eine Art Kriegsunternehmer im eigenen Land gewesen sein könnten. Immerhin gibt es eine Spezialrechnung der Recette générale des finances von 1497 für Charles de Sauveuse, durchgehend treuer Armeechef Maximilians und auch Marias, über die Jahre 1485–1495, aus der hervorgeht, dass er die ihm unterstehenden Truppen auch unterhielt, wenn die Zahlungen aus der zentralen Regierungskasse mal ausblieben, was durchaus öfters vorkam – wie er das schaffte, wird hingegen nicht deutlich. Gab es einen weiteren Fonds? Nutzte er Eigenmittel? Darauf gibt es keine Antwort (S. 342–345). Von seinem Schlag gab es eine ganze Reihe weiterer Adliger, auch Albrecht von Sachsen lässt sich (wenn auch auf einer höheren Ebene) dazu rechnen, dem es freilich darum ging, gute Beziehungen zum Reichsoberhaupt zu wahren (S. 345–349). Nicht zuletzt spielt das Söldnerwesen eine große Rolle. All diese Überlegungen leiten über zur Frage nach dem Rechnungswesen im Krieg (Kap. 11) und der Zusammensetzung der Truppen (Kap. 12), genauer nach dem Verhältnis von Stadtmilizen und Lehnsverbänden. In der zeitgenössischen Militärtheorie kommen teilweise eindeutige Vorstellungen zur Sprache, was die Bezahlung angeht: Sie soll regelmäßig sein und auch tatsächlich durchgeführt werden (S. 379–381). Die Fußkämpfer in den Verbänden, die die flämischen Stände nach der Einnahme Tournais durch die Franzosen im Frühsommer 1477 aufzustellen genehmigten, erhielten 3 s. pro Tag. Ab Oktober 1477 stellte Maximilian Ordonnanzkompanien auf, stehende Truppen, wie es sie auch schon unter Karl VII. von Frankreich (ab 1445) und Karl dem Kühnen von Burgund (ab 1470) gab. Diese werden in einem eigenen Kapitel gesondert untersucht (Kap. 13) hinsichtlich der Anführer, des Umfangs, der Rekrutierung usw. Faktisch verhielten sie sich wie ein Fremdkörper im eigenen Land, eher wie Söldner, allein der Hof zog aus ihnen Nutzen. Dies wiederum leitet über zur Frage nach der Zusammensetzung der gesamten Armee (Kap. 14), des Anteils der schweizerischen Söldner, der Frage nach Kämpfern aus Süddeutschland (S. 429–436), den Garnisonsbesatzungen, der persönlichen Garde Maximilians. Es gab eine extrem große Fluktuation, lediglich die Hauptleute in den oberen Rängen blieben kontinuierlich in Funktion (biographische Skizzen S. 416–427), weswegen man von einem ‘Hof in Waffen’ sprechen könnte. Wichtig ist Kap. 15 mit der Berechnung des Steuerdrucks auf die Land- und Stadtgemeinden, eine eminent sozialgeschichtliche Frage. Entscheidend ist dabei der Umstand, dass die fürstlichen Amtsträger in den vielen Kleinstadt- und Landgemeinden sich direkt an die örtlichen Gemeindevertreter bis hinab auf die Pfarrei-/Kirchspielebene wandten, wodurch ein Finanzierungsstrom entstand, der zu den ständischen Aide-Zahlungen hinzuzurechnen ist. Es gab einen Unterschied zwischen den (wenigen) Großstädten und den (vielen) Kleinstädten und Großdörfern. In Flandern lag die Steuerlast in etwa bei 1 fläm. Pfund à 40 Groschen pro Jahr pro Haushalt, was in etwa 5–15 % der jährlichen Einnahmen der privaten Haushalte entspricht, zumindest erscheint diese Größenordnung in den ständischen Verhandlungen als noch akzeptabel. Deutlich stieg der Steuerdruck durch die Bewilligung der Aide von 127.000 Rittern im Jahr 1485, einer Summe, die die Großstädte auf ihre Umlandquartiere umlegten und die dort weiter auf die Kirchspiele verteilt wurde. Im Brügger Freiamt (wo es besonders aussagekräftige Überlieferung gibt, S. 445) verweigerten in der Folge nur Sluis und Lichtervelde wegen ihrer Armut die ihnen zugeteilte Umlage, die anderen Gemeinden akzeptierten sie, was heißt, dass sie sich selbst als tragfähig einschätzten (S. 443). Die Kleinstädte wiederum nahmen Anleihen bei ihrer eigenen Oberschicht auf, um den Umlagepflichten nachkommen zu können. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass die Kleinstädte 1487 durch den Rentenverkauf nicht genügend Geld einnahmen, in der Breite gab es Zahlungsverzögerungen und Bitten um Aufschub. 1488–1491 litt das Gebiet des Freiamts noch weiter, ja extrem unter den Plünderungen während des Bürgerkriegs, so dass die Tragfähigkeit völlig zerstört war; Besserung setzte erst ab 1495 ein. In anderen Regionen der Niederlande sah es etwas anders aus, wie die vergleichend geschilderten Zustände in der Kastellanei Courtrai zeigen, die schwer unter den Kriegsereignissen 1477/78 und 1485 litt, sonst aber weitgehend verschont blieb. Hier lag die jährliche Haushaltsbelastung in etwa bei 1,4 fläm. Pfund. Die wirtschaftliche Lage begann sich etwas früher zu bessern, schon ab 1494. Indizien für zunehmende Armut gibt es durchaus, aber insgesamt scheint die Einwohnerschaft besser durch die Kriegsjahre 1477–1493 gekommen zu sein als durch die existentielle Hungerkrise 1436–1438. Es bleibt die Frage, woher man all das weiß. Grundpfeiler der Arbeit sind die Rechnungen des Generalrentmeisters aller Finanzen (Recette générale des finances, RGF), die Sonderrechnungen über die Aides, die Rechnungen der flämischen Städte und Kastellaneien. Der Umfang ist enorm. Aber es gibt auch empfindliche Lücken. Festzustellen ist der Verlust der Rechnung des Kriegsschatzmeisters Alard Coopman über die Jahre 1484–1493, weswegen man für diese Jahre keine Aussagen über die Armee machen kann, wie sie die Rechnungen des Generalrentmeisters über die Jahre 1479–1480 erlauben. Sonderrechnungen wie die für Charles de Sauveuse kommen hinzu. Kap. 1 ist ganz der Überlieferung gewidmet, sei es, dass die Rechnungen in äußerlich-materieller Hinsicht beschrieben werden oder dass der rechtlich-administrative Vorgang der Zahlungspraxis mit seinen Berechtigungen, Anweisungen und Quittungen sowie den Zuständigkeiten der Kassenmeister skizziert wird. Grundlage des höfischen Wirtschaftens blieben die landesherrlichen Grundherrschaften, die Domänen (Kap. 2), von denen der spätma. Theorie nach der Fürst zu leben hatte, ihr Anteil schrumpft allerdings deutlich, schon bei Karl dem Kühnen auf etwas über 50 %. Das Prinzip der Netto-Rechnung bestimmte wie in anderen Ländern auch hier den Gesamthaushalt der Herrschaft. Die örtlichen Amtsträger beglichen aus den vor Ort erzielten Einkünften aus Domänen, Zöllen und Strafgeldern ihre durch die Amtsführung bedingten Aufwendungen für Personal, Rechtsprechung, Reisen, Bauunterhaltung (Burgen) und führten nur einen Nettobetrag an die übergeordneten Zentralkassen ab. Die Folge ist, dass man alle Rechnungen der landesherrlichen Amtsträger zusammentragen muss, um den Bruttohaushalt der Landesherrschaft zu ermitteln – ein immenses Unterfangen und methodischer Kernpunkt der ganzen Arbeit, führt dieser Ansatz doch zur Betrachtung und differenzierenden Beurteilung des ganzen Landes (S. 102). Als Hauptergebnis lässt sich festhalten, dass es eine innere Rationalität der Kriegsfinanzierung gegeben hat. Neben den vielen offiziellen Einkunftsarten gab es eine Reihe versteckter Möglichkeiten zur subsidiären Unterstützung. Zu nennen sind die großen Adligen, die über eine eigene, bedeutende finanzielle Tragkraft verfügten, was sie in die Lage versetzte, große Summen vorzustrecken, für die sie anschließend eine Vergütung erhielten, zum einen in Form echter Zurückzahlungen, zum anderen in Form von Rechten und Privilegien zur Herrschaftsausweitung. In gewandelter Form lässt sich das auch bei den großen Städten erkennen. Sobald sich für sie die Möglichkeit zu politischen und wirtschaftlichen Profiten eröffnete, steigerten sie ihre Anstrengungen. Deutlich zu erkennen ist dies beim Feldzug gegen das Fürstbistum Lüttich 1482, als die brabantischen Großstädte ohne viel Federlesens das Dreifache dessen bewilligten, was kurz zuvor noch völlig unmöglich war, ging es diesmal doch gegen die alte Konkurrenzstadt – anlassgebunden griffen die Städte eben doch in den Säckel. Damit all dies funktionierte, war eine Integration des Hochadels bei Hofe entscheidend, und es musste ein direkter Nutzen für die Stände erkennbar sein. Für Gegenangriffe nach Frankreich waren die Stände nie zu gewinnen, Landesverteidigung hingegen wurde unterstützt, je größer die Bedrohung, desto höher der Einsatz.

Harm von Seggern