DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Stefan Esders / Massimiliano Bassetti / Wolfgang Haubrichs, Verwaltete Treue. Ein Verzeichnis vereidigter Personen aus dem Norden des regnum Italiae zur Zeit Ludwigs II. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 148) Berlin / Boston 2024, De Gruyter, XIII u. 403 S., 157 Abb., 3 Tab., ISBN 978-3-11-137286-0, EUR 119,95. – Die Vf. sprechen im Vorwort (S. IX) selbst den eher ungewöhnlichen Umstand an, dass sie einer einzigen Folioseite (fol. 184r) der in der Forschung weithin bekannten Rechtshs. St. Paul, Stiftsbibl., 4/1, mit einem 174 Namen umfassenden Eidverzeichnis ein ganzes Buch widmen. Man möchte präzisieren: ein gutes Buch. Der Aufbau der Studie ist schnell erzählt: Während B. den Codex paläographisch-kodikologisch analysiert, widmet sich H. der sprachwissenschaftlich-onomastischen Untersuchung. E. steuert zwei Kapitel zur (rechts-)historischen Einordnung bei, die den Teil von B. umschließen. Am Ende steht eine von den drei Vf. gezeichnete „Synthese“ der Ergebnisse. Auf einen besonderen Umstand sei hier direkt hingewiesen: Der Teil von B. (S. 29–89, samt Tab. und Abb. im Anhang) wurde bereits 2023 als Buch veröffentlicht (vgl. DA 80, 245f.) und hier weitgehend wortgleich erneut abgedruckt, weshalb dieser Teil nicht noch einmal besprochen zu werden braucht. Während B. in seinem Buch auf den vorliegenden Band verweist, wird das Buch von B. hier dagegen mit keinem Wort erwähnt. Einen signifikanteren Unterschied im Vergleich zum Buch von 2023 gibt es dennoch: Aus den vormals zwei Schreibern D und E, die die Kapitularien am Ende des Codex, unmittelbar vor der Eidliste, geschrieben haben, ist jetzt ein einziger Schreiber geworden (D’ und D’’; vgl. die Übersicht auf S. 45), der in zwei Phasen schrieb (S. 74). B. hat seine Händescheidung also noch einmal angepasst. Zu Beginn gibt E. (S. 1–28) eine instruktive Einleitung, in der er die Funktion und Bedeutung des allgemeinen Treueids darstellt und die damit zusammenhängende Schriftlichkeit in Form von Vereidigtenverzeichnissen (Capitulare missorum von 789, Reimser Vereidigungsbreve von 854) thematisiert, wobei Kapitularien eine wichtige Rolle spielten. Anschließend führt E. zur St. Pauler Hs. hin, welche das zweite erhaltene Eidverzeichnis nach dem Reimser Vereidigungsbreve tradiert. Die St. Pauler Eidliste wurde ganz am Ende des Codex auf einem Einzelblatt sukzessive eingetragen. Nach der Analyse von B. stellt wiederum E. den Codex näher vor (S. 91–155), der um 813/16 entstanden sein dürfte und dann erweitert wurde. Es spricht viel dafür, dass er einem Grafen gehörte, wozu auch die Zusammenstellung verschiedener Leges (Lex Salica, Lex Ribuaria, Lex Burgundionum, Lex Alamannorum, Lex Baiwariorum, Epitome Aegidii) passe. Dieser Graf nutzte die Rechtsbücher für die Rechtsprechung, die nach dem Personalitätsprinzip organisiert war. Gerade in Italien kann seit der fränkischen Eroberung ein starker Zuzug von Menschen anderer Rechtsprovenienz beobachtet werden. Im Anschluss geht E. auf die Frontispize und die Kapitularien ein, die den Leges-Block des Codex rahmen, und fragt nach deren Funktion, ehe er auf die Eidliste zu sprechen kommt. Die Liste sei ein „Beleg für den Durchsetzungsanspruch der Grafschaftsorganisation“ (S. 117). Es werden verschiedene Funktionsträger unterhalb des Grafen genannt (Gastalden, Schöffen, Notare), was die herausgehobene Stellung des Grafen zeige, ein Amt, das ja erst unter den Karolingern in Italien eingeführt wurde. Die Liste wurde sehr wahrscheinlich von einer Hand geschrieben, sie ist allerdings wohl nicht während einer mündlichen Befragung entstanden, sondern auf Grundlage mehrerer kurzer Listen, die zusammengeführt wurden. Um sie richtig einordnen zu können, brauchte man direkte Kenntnisse der Vereidigungssituation und der Personen selbst. E. untersucht mögliche Anlässe für die dokumentierten Vereidigungen. Er gibt dazu einen Überblick über den allgemeinen Treueid in Italien und kommt zu dem Schluss, dass die Liste erst deutlich nach 825 eingetragen worden sein kann. Die Liste dürfte Nachvereidigungen wegen eines konkreten Anlasses erfassen und nicht einem allgemeinen Treueid gewidmet sein. E. geht davon aus, dass die Eidliste mit den Vorbereitungen der Feldzüge gegen die Sarazenen zusammenhängt, insbesondere mit dem auf Ende 846 / Anfang 847 datierbaren sog. Hlotharii capitulare missorum, das Alfred Boretius noch dem Jahr 832 zugeordnet hatte. H. widmet sich anschließend den Personennamen der Liste (S. 157–224) und bietet eine sprachwissenschaftlich-onomastisch-prosopographische Analyse. Die Liste enthält ganz überwiegend germanische Namen; die zweitgrößte Gruppe sind romanisch-lateinische Namen. Kernstück dieses Teils ist ein umfassender Katalog. H. vergleicht die Liste mit anderen bekannten Listen aus Italien und analysiert die Anteile der verschiedenen Namentypen (römisch, germanisch, romano-germanisch, germano-romanisch). Die Liste muss ihren Ursprung in Norditalien haben. H. datiert sie ins 9. Jh. und hält fest, dass einige Namen über Norditalien hinausweisen. Die westliche Emilia als Ursprungsregion ist sehr wahrscheinlich. H. vermutet, dass der Graf Autram von Cittanova-Modena der Auftraggeber der Liste war. In der abschließenden Synthese (S. 225–250) werden die Ergebnisse noch einmal gut lesbar zusammengefasst. Die mündliche Eidleistung wurde über Namen notiert, eine wichtige Rolle spielte dabei das „soziale Wissen“ und das „Situationswissen“ (S. 231) der Anwesenden, das die Liste erst voll nutzbar machte. Der Eintrag in einen Codex sei aber sehr ungewöhnlich. Das Breve ist darüber hinaus Zeugnis für die lokale Umsetzung herrscherlicher Anordnungen und Indikator für die herrschaftliche Durchdringung. Die Liste ist in den 840er bzw. 850er Jahren entstanden, wofür auch spreche, dass sich eine Gruppe von vier Personen in einer Urkunde von 855 wiederfinde. Eine Entstehung 846/47 ist am wahrscheinlichsten, während die lokale Eingrenzung eher schwierig ist (es werden die Grafen Autram von Cittanova-Modena und Wicfrid I. von Piacenza als Auftraggeber wahrscheinlich gemacht). Den Abschluss bilden nach der Neuedition der Eidliste (S. 251–253) und einem englischen Summary (S. 255–258) eine ganze Reihe von Anhängen und Verzeichnissen: die zu B.s Teil gehörende „Ricostruzione dei fascicoli, dei turni di scrittura e delle fasi di espansione del codice“ (S. 259–281), zahlreiche, teils farbige Abbildungen (S. 283–327; leider ohne Hinweis auf online verfügbare Digitalisate), das Hss.-Verzeichnis (S. 339–341; leider kein Hss.-Register), die Bibliographie (S. 343–383) und ein umfangreiches Register der Personen und Orte (S. 385–403). Das Fazit kann nur positiv ausfallen. Das Buch wurde von drei ausgewiesenen Experten auf ihrem Gebiet geschrieben und zeigt eindrucksvoll, wie fruchtbar interdisziplinäre Tiefenanalysen sein können. Es stellt eine wichtige Studie zu gleich mehreren Themenfeldern dar: vor allem zur Bedeutung von Rechtshss. im karolingischen Italien, zur Relevanz des Treueids und der damit zusammenhängenden Schriftlichkeit, zur „verwaltungstechnischen“ Durchdringung eines vielschichtigen und unterschiedliche Bevölkerungsgruppen vereinenden Raums und zur Bedeutung des Grafenamts in Italien.

D. T.