Christopher Kast / Claudia Märtl (Hg.), Papstreisen im Mittelalter. Organisation – Zeremoniell – Rezeption (Römische Quartalschrift, Supplementbd. 71) Freiburg i. Br. 2024, Herder, 420 S., Abb., ISBN 978-3-451-39570-3, EUR 58. – Der Papst auf Reisen, das ist spätestens seit Johannes Paul II. ein vertrautes Bild. Diese Selbstverständlichkeit des Unterwegsseins im weltweiten Sprengel hat allerdings eine lange Entwicklungsgeschichte, die von wechselnden Konjunkturen geprägt und in der das MA eine Phase von zentraler Bedeutung ist. Der vorliegende Band entwickelt erstmals ein überzeugendes, Jahrhunderte übergreifendes Bild des Phänomens. Dabei geht er über eine datenorientierte Bestandsaufnahme weit hinaus. Das Anliegen der beiden Hg. ist es, die Mobilität des Papstes und in zunehmendem Maß der gesamten Kurie nicht nur zu konstatieren, sondern in zentralen Aspekten zu durchleuchten. Fragen der Organisation, der Kommunikation durch Liturgie und Zeremoniell und schließlich der Wirkung und Nachwirkung solch ambulanter Präsenz in den bereisten Gegenden und für die Organisation des Papsthofs markieren das Interessenfeld. Die mitsamt der Einleitung 16 Beiträge sind in chronologischer Folge angeordnet, beginnend mit dem epochemachenden Aufbruch der Reformpäpste des 11. Jh., über die geläufige Mobilität der Kurie im Italien des 13. Jh., die Zeit des Aufenthalts in Avignon bis hin zum Renaissance-Papsttum mit seinem reichen, oft komplementären Quellenfundus. Den Auftakt macht Jochen Johrendt, Papstreisen in unsteten Zeiten. Die Epoche der Reformpäpste (S. 29–45), mit der Beobachtung, dass die Reformpäpste oft Fremde in der eigenen Bischofsstadt und auch deshalb mobil waren. Schon hier lassen sich Zusammenhänge zwischen der Reisetätigkeit und der Ausbildung eines strukturierten Hofs erkennen, aus dem sich längerfristig die Kurie entwickeln sollte. – Francesco Massetti, Die unermüdliche Reisetätigkeit Leos IX. (1049–1054). Ein Beitrag zur papstgeschichtlichen Wende im 11. Jahrhundert (S. 46–66), macht am Beispiel von Synoden und Altarweihen in detaillierter Fülle das Bemühen Leos nachvollziehbar, die Kirchen insbesondere des nordalpinen Raums und den Führungsanspruch des römischen Bischofs miteinander zu verknüpfen. – Georg Strack, Eine Kampagne für den Kreuzzug? Die Frankreichreise Urbans II. 1095/96 (S. 67–83), verabschiedet endgültig die Idee, der Papst sei nach Frankreich primär aufgebrochen, um dort zum Kreuzzug ins Heilige Land aufzurufen. – Markus Krumm, Die Päpste unterwegs in Süditalien (11. und 12. Jahrhundert) (S. 87–118), stellt Reisepraxis und Repräsentation in den Mittelpunkt seiner Bestandsaufnahme. – Pascal Montaubin, Travelling Popes in 12th-Century France. With a Focus on Innocent II (1130–32) and Eugenius III (1147–48) (S. 119–146), arbeitet systematisch und detailgenau die aktiven finanziellen, herrschaftlichen und repräsentativen Motive päpstlicher Reisetätigkeit heraus und öffnet damit das Feld gegenüber dem verbreiteten Denkmuster der Vertreibung in Schismazeiten. – Während Stefania Zucchini, Ospitare la Curia romana. Gli effetti della mobilità pontificia sulla città dell’Italia mediana nel Duecento (S. 149–182), das Augenmerk vornehmlich auf die prägende Wirkung der Päpste in den bereisten Städten legt, hebt Agostino Paravicini Bagliani, La mobilità dei papi e della corte papale nel Basso Medioevo. L’impatto istituzionale (S. 197–209), die beständige Mobilität des Papsthofs in dieser Zeit hervor und bringt dies mit dem Konzept papaler Universalität in Verbindung. – Marco Ciocchetti, I viaggi dei cardinali insieme alla corte papale nel Duecento (S. 183–196), stellt dem Papst die Kardinäle an die Seite, die oft notwendigerweise mit diesem reisten oder ihm hinterher. Die Mobilität der in Avignon residierenden Päpste beschränkte sich dagegen weitgehend auf das umliegende Venaissin. – Patrick Zutshi, Immobility and Mobility: the Avignon Popes from John XXII to Innocent VI (1316–1362) (S. 213–232), führt zu den beiden bevorzugten Residenzen außerhalb des Palasts in Avignon, während Ralf Lützelschwab, Die letzte Reise? Urban V., Gregor XI. und der lange Weg zurück nach Rom (S. 233–251), insbesondere die logistischen und finanziellen Aspekte solch „komplexer Großereignisse“ in den Mittelpunkt rückt. – Ursula Giessmann, Der Adventus Felix’ V. in Basel (1440). Schichten des päpstlichen Zeremoniells während des Basler Konzils (S. 255–276), weist den verwendeten Zeichen je eigene Bedeutungsräume zu und sieht die prachtvolle Betonung des Hauses Savoyen als Gegenpol des fragilen theologischen Status eines vom Konzil erhobenen Papstes. – Jörg Voigt, Zur Kanzlei reisender Päpste im 15. Jahrhundert. Beobachtungen aus den Pontifikaten Pius’ II. und Sixtus’ IV. (S. 277–296), betritt mit der Erforschung der Praxis des Beurkundungsgeschäfts der Kurie auf Reisen weitgehend Neuland. – In faszinierender Weise verbindet Claudia Märtl, Imago simillima papae. Bilder und Inschriften als Denkmäler der Papstreisen des 15. Jahrhunderts (S. 297–326), unterschiedliche Quellengattungen, um zu zeigen, wie Papstbesuche in italienischen Kommunen in Erinnerung gehalten und zum Nutzen und zur Ehre der Gastgeber monumentalisiert wurden. – Maria Krumm, Die Bologna-Reise Julius’ II. (1506–1507) (S. 329–345), nutzt das Tagebuch des päpstlichen Zeremonienmeisters Paris de Grassis zur Rekonstruktion des päpstlichen Reisealltags in der Hochrenaissance. – Tobias Daniels, Der Papst zu Schiff – der Papst und die Schiffe (S. 346–375), setzt mit einem fulminanten Aufriss den inhaltlichen Schlusspunkt des Bandes und eröffnet zugleich ein weiteres Thema, für das man dank der dichten spätma. Quellenüberlieferung reiche Ernte erwarten darf. – Eine chronologisch nach Pontifikaten gegliederte Auswahlbibliographie mit 253 Titeln (S. 379–400) lädt zum Weiterforschen ein, bevor ein Register der Orte und Personen den Band beschließt. Die Aufsatzsammlung erweitert die von K. in seiner Diss. (Der Papsthof auf Reisen, 2024, vgl. DA 80, 773f.) für das 15. Jh. gewonnenen Erkenntnisse zeitlich und inhaltlich in systematischer Weise. Sie setzt Maßstäbe und sollte in keiner mediävistischen Bibliothek fehlen.
Harald Müller