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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Peter Murray Jones, The Medicine of the Friars in Medieval England (Health and Healing in the Middle Ages 5) Woodbridge – Rochester, NY 2024, York Medieval Press, 307 S., ISBN 978-1-914049-23-1, GBP 60 (auch online erhältlich über Cambridge University Press). – J. hat neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler und Bibliothekar am King’s College in Cambridge über viele Jahre an dem im Titel umrissenen Themenkomplex gearbeitet. Das Buch kann daher als sein ausgereiftes Opus magnum angesehen werden. Es gründet sich insbesondere auf einer Vielzahl solider Analysen von Hss. englischer Bibliotheken und ist – neben der ausführlichen Einleitung und einer sehr kurz gefassten Conclusion – in sieben Kapitel gegliedert, die ihrerseits jeweils eigene Einleitungen und Conclusions enthalten: 1. J. bietet weitgestreute Hinweise auf medizinische Praxis und Praktiken im Umfeld der vier Bettelorden (Dominikaner, Franziskaner, Karmeliter und Augustiner), die in England seit dem zweiten Viertel des 13. Jh. bis zu ihrer Auflösung 1537/38 tätig waren. Dabei wird anhand verschiedener Beispiele (etwa William Appleton, Eryk de Vedica) deutlich, dass etliche Brüder bereits vor ihrem Eintritt in den jeweiligen Orden Medizin studiert und als Ärzte praktiziert hatten und dass solche Praktiken trotz kanonischer Verbote möglich waren. 2. Im Mittelpunkt steht der Franziskaner William Holme, der als medicus inner- und außerhalb des Ordens wirkte und zwei Kompilationen zu Heilmitteln verfasste. Vor allem aber wird er mehr als hundert Mal in der Hauptquelle J.s zitiert, der offensichtlich von verschiedenen Franziskanern ab 1416 zusammengestellten Tabula medicine. In diesem Werk wurde medizinisches Wissen zu Grundlagen, Organen, Symptomen und Krankheiten streng alphabetisch (also nicht a capite ad calcem) geordnet. 3. Als weitere Besonderheiten der von englischen Minoriten praktizierten bzw. weiterentwickelten Medizin umreißt J. vor allem die Kritik Roger Bacons (seit 1257 Franziskaner) an der praxisfernen scholastischen Medizin und anschließend die bekannten natur- und sachkundlichen Enzyklopädien etwa des Bartholomaeus Anglicus. Diese enthalten ebenfalls einzelne Kapitel oder ganze Bücher zur Medizin und weisen in ihrem Ordnungsstreben deutliche Parallelen zur Tabula medicine auf. 4. Als „medical culture“ der englischen Bettelordensmedizin identifiziert J. das erweiterte wissenschaftliche Programm Bacons (Einbezug von Alchemie, scientia experimentalis, Astrologie) sowie eine für Ordensmitglieder erstaunliche Hinwendung zu Fragen der Zeugung und Frauenmedizin. 5. Eine weitere womöglich typische Verbindung von Fürsorge für Seele (durch Predigt und Seelsorge) und Körper (durch Medizin) äußert sich u.a. in einer „medicine of words“: breiter Einsatz medizinischer Metaphern und Beispiele in Predigt und Beichtliteratur; Verbreitung und Berücksichtigung von moralischen Gesundheitsregeln auch in Fürstenspiegeln und Enzyklopädien. 6. Kritik von außen an der medizinischen Praxis der Bettelorden findet sich in der zeitgenössischen satirisch-moralischen Dichtung (insbes. Langlands Piers Plowman): Der von der Hauptsünde Neid sich nicht heilende Bruder kann anderen nicht helfen; er ist auch dem Vorwurf ausgesetzt, anlässlich der ihm möglichen Hausbesuche als heuchlerischer Betrüger und Verführer zu agieren. 7. Einzelne Beispiele machen deutlich, dass der Einfluss der „Bettelordensmedizin“, insbesondere der Tabula medicine, auch nach dem abrupten Ende der Orden in England beträchtlich war. J. hat ein beeindruckendes Buch vorgelegt: sehr gut lesbare Fachprosaforschung vom Feinsten, in der zeithistorische Kontexte (Krieg, Pest, Stadt, soziale Gruppen) und aktuelle Forschungsliteratur genauso ihren Platz finden wie die detaillierte Textanalyse. Vieles an dem medizinhistorisch noch unzureichend verstandenen medikalen Trümmerfeld des 14. und 15. Jh. wird exemplarisch erläutert. Nur in wenigen Details will man ihm widersprechen: Kann man schon Mitte des 14. Jh. von ars moriendi reden (S. 189), wenn der Begriff eigentlich erst im 15. Jh. geprägt wird? Ist es nur der schlechten Quellenlage geschuldet, dass die Infirmarien der Bettelorden fast keine Erwähnung finden? Und ist es wirklich überzeugend, von einer besonderen „friars’ medicine“ zu reden, wenn diese eher praxisorientierte, zunehmend volkssprachlich übermittelte und trotzdem gelehrte Heilkunde so viele Gemeinsamkeiten (einschließlich der Kritik an ihr) mit der übrigen (insbesondere universitär gebildeten) Medizin teilt? Die durchaus berechtigte Ausweitung einer „Bettelordensmedizin“ auf naturphilosophische und enzyklopädische Literatur oder auf Militärchirurgen wie Appleton aufgrund der bloßen Ordenszugehörigkeit lässt jede Abgrenzung verschwimmen; so betrachtet ist die „medicine of the friars“ vielmehr Teil einer komplexen medizinischen Welt im Spät-MA mit etlichen englischen Besonderheiten.

Daniel Schäfer