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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Xenia Miller, Die Entwicklung ausgehandelter Schriftlichkeit und pragmatischer Rechenhaftigkeit in der Buchführung des Spätmittelalters. Eine vergleichende Analyse städtischer und adeliger Rechnungsführung am Beispiel der Rechnungen von Mühlhausen in Thüringen und der Landgrafen von Hessen (Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung 45) Petersberg 2024, Michael Imhof Verlag, 607 S., Abb., ISBN 978-3-7319-1386-3, EUR 49,95. – Rechnungsbücher sind in vielerlei Hinsicht Schwergewichte, auch diese in Hannover eingereichte Diss. Ihr Titel ordnet sie in ein Forschungsfeld ein, das seit längerem von Mediävistik wie Kulturgeschichte beackert wird. An zwei jeweils mehrere Jahrzehnte umfassenden Beispielen aus dem 15. Jh. – einem städtischen Kämmereiregister einerseits und Kammerschreiberrechnungen sowie Hofmeisterrechnungen andererseits – verdeutlicht M., welche verschiedenen Voraussetzungen den Aufbau von Rechnungsbüchern bestimmten. In Zeiten ohne normiertes Buchhaltungswesen entschied nicht nur die Ordnung im Kopf des Schreibers über die zu wählende Form, sondern auch der gesellschaftliche Kontext, in dem die Rechnungen entstanden. Im Vergleich der zwei Rechnungsführungen stellt M. heraus: Im städtischen Kontext entwickelte sich zügig ein formalisierter Umgang mit Rechnungsaufzeichnungen, der es den in den ratsherrlichen Verwaltungen wechselnden Verantwortlichen ermöglichte, sich schnell einen Überblick über die Zusammensetzung der verschiedenen Posten im Einnahmen- und Ausgabenbereich zu verschaffen. In der adeligen Hofhaltung dagegen übten die hier Zuständigen ihr Amt in der Regel über einen längeren Zeitraum aus und nahmen ihre Einträge fortlaufend und weniger nach inhaltlichen Kriterien vor. In allen Beispielen finden sich kleinere rechnerische Ungenauigkeiten, erwartbar bei Währungsumrechnungen, dem Rechnen mit römischen Zahlen, dem Gebrauch von Rechentuch oder -brett und der nur vereinzelten Verwendung negativer Zahlen, jedoch keine eigentliche Bilanzierung. Ziel der Rechnungen ist stets die Wissensverarbeitung und die Dokumentation dieses Wissens zur Kontrolle des Geldflusses. M. stellt z.T. ungewöhnliche Fragen wie z.B. nach dem Wochentag der Einträge, der letztlich die soziale Bindung der Eintragenden spiegelt: In der Stadt nehmen die ratsherrlichen Schreiber diese Arbeiten vorwiegend am Wochenende und damit wohl außerhalb ihres ‘privaten’ geschäftlichen Handelns vor; am adeligen Hof gibt es da keine Prioritäten. Darüber hinaus widmet sie der Materialität von Rechnungsbüchern ihre Aufmerksamkeit und insbesondere den Wasserzeichen der Papiere, die im Anhang auch abgebildet sind. Der ausführlichen Einleitung zur Forschungsgeschichte entspricht ein umfängliches Literaturverzeichnis. Schließlich stellt sich die Gretchenfrage: Wie sollen Rechnungsbücher aufbereitet werden, analog oder digital? M. hat die analoge Darstellung gewählt – und zeigt damit gleichzeitig deren Grenzen auf. Denn so sehr sie die Vergleichbarkeit ihrer Quellen in den Ergebnissen ihrer Arbeit versprachlicht, so schwierig ist es, dies in einer analogen Transkription nachzuvollziehen. Eine weitere Nutzung ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Anders sähe es bei einer digitalen Aufbereitung der Daten in Verbindung mit einer Suchfunktion aus, auch wenn man bestimmte Einschränkungen wie z.B. die Vereinheitlichung von Schreibweisen dafür in Kauf nehmen müsste. Vielleicht findet sich dafür noch eine Lösung? Insgesamt bietet diese Arbeit durchaus einige interessante neue Aspekte zur Forschungsarbeit mit Rechnungsbüchern. Aber man wünscht sich doch sehr einen open-access Zugang, wenigstens zu den Transkriptionen. So könnten Rechnungsbücher künftig sicherlich ein noch größeres Gewicht als bisher für verschiedene Forschungsfragen gewinnen.

Gudrun Gleba