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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Storia dei Valdesi I: Come nuovi apostoli (secc. XII–XV), a cura di Francesca Tasca, Torino 2024, Editrice Claudiana, 678 S., ISBN 978-88-6898-396-3, EUR 64. – Der Band ist Teil einer geplanten vierbändigen Reihe, die in hochwertiger Ausstattung mit festem Einband, Karten und Illustrationen die Geschichte der Waldenser vom MA bis heute behandeln soll. Den Umschlag des ersten Bandes ziert ein Stadtplan von Lyon mit der „rue maudite“, in der nach der Tradition Waldo oder Waldes gewohnt haben soll, der Gründer und Namensgeber der Armen von Lyon oder Waldenser, wie sie im MA genannt wurden. Das Projekt feiert den 850. Jahrestag seiner Bekehrung, ein Datum, das bekanntlich ausschließlich durch die Tradition gerechtfertigt ist; dokumentarische Belege gibt es nicht. Der Band ist in drei Teile mit abnehmendem Umfang gegliedert. Der erste, L’accusa di eresia (S. 21–371), umfasst vier Abschnitte, der zweite, La cultura (S. 375–521), zwei, der dritte, Attraverso i secoli (S. 525–587), lediglich einen. Es folgt eine Bibliographie von 50 Seiten. Beteiligt sind 25 Vf., die zum Teil mehr als einen Beitrag verfasst haben, die Hg. selbst steuert neben der Einleitung zum Band sechs Texte bei. Bei einem so weitgefassten Unternehmen wäre eine solide Einführung zum Gesamtwerk hilfreich gewesen, die den Zugang zu einer kontinuierlichen Lektüre erleichtert hätte, zumal insgesamt mehr als 100 Vf. mitgewirkt haben, neben Fachleuten der waldensischen Geschichte auch Historiker mit anderer Spezialisierung, die sich zuvor nicht mit dem Thema beschäftigt hatten, und Nachwuchswissenschaftler. Etwas befremdlich erscheint bei der Lektüre des ersten Bandes, dass Fakten, Themen und Deutungen, die seit langem bekannt und in der Forschung etabliert sind, hier wie neue Erkenntnisse vorgestellt werden – das mag vielleicht mit dem Blick auf ein breiteres Publikum zu tun haben. Behandelt werden die üblichen Themen: die Anfänge, die Verfolgungen, die Migration, die Hss. der Wanderprediger (Barben), die Rolle der Frauen, die Ausbreitung und die Niederlassungen in den Valli valdesi und an verschiedenen Orten in Europa (Straßburg, Fribourg, Languedoc und Provence, Böhmen). Neu ist demgegenüber die Aufmerksamkeit für „identity markers“: der Umgang mit Nahrung und Kleidung und – warum nicht? – auch mit der Sexualität. Das Thema der Identität durchzieht die Geschichtsschreibung zu den Waldensern seit 35 Jahren (vgl. G. G. Merlo, Identità valdesi, 1991, vgl. DA 224, 742); es geht um die schwierige Position nonkonformistischer Individuen in einer von Zwängen geprägten Realität, um die tiefen Dimensionen der Religiosität eines Menschen, der den ungleichen Kampf mit der Inquisition aufnimmt. Dankenswerterweise ist diesem Thema ein Kapitel gewidmet (Riccardo Parmeggiani, S. 117–135), das sich mit der Funktionsweise des officium fidei auseinandersetzt, ohne freilich ausdrücklich auf die Geschichte der Waldenser einzugehen. Eine andere Entscheidung, die ein wenig verwundert, ist, dass der epochale Wendepunkt, den der Anschluss an die Reformation (1532) bedeutete, völlig fehlt. Dieses Ereignis mit den Diskussionen über die Abkehr von den bisherigen religiösen Gebräuchen hin zur Übernahme des reformierten Modells geht natürlich über die übliche zeitliche Abgrenzung des MA hinaus; zugleich ist es aber ein besonders charakteristischer Aspekt bei einer ausgesprochen guten Quellenlage. Man hat demgegenüber andere Themen vorgezogen: die Waldenser in Süditalien (13.–17. Jh.) (Alfonso Tortora, S. 304–316), die Legende von der Entstehung unter Papst Silvester und ihr Fortleben in der Neuzeit (Daniel Toti, S. 525–546), der Umgang mit der Sexualität und die Ehe in MA und Neuzeit (Tommaso Scaramella, S. 571–587). Das Gesamtprojekt wurde oft als eine „neue“ Geschichte der Waldenser bezeichnet. Was den vorliegenden Band angeht, liegt das Neue nicht in den Beiträgen – die in der einschlägigen Forschung oft behandelte Themen aufgreifen und wohlbekannte Quellen und Dokumente verwenden –, sondern in dem engagierten Versuch, die Interessen einer breiteren Leserschaft und vielleicht auch die Diskussionen der Geschichtsforschung in einem „neuartigen“ Projekt zusammenlaufen zu lassen.

Marina Benedetti (Übers. V. L.)