Matthias Kühlwein, Die Grafen von Diez (12.–14. Jahrhundert). Handlungsspielräume eines mittelrheinischen Adelsgeschlechts (Geschichtliche Landeskunde 77) Stuttgart 2024, Franz Steiner Verlag, 345 S., ISBN 978-3-515-13744-7 (Print), ISBN 978-3-515-13749-2 (E-Book), EUR 68. – Die Grafen von Diez gehören zu den mittelrheinischen Adelsgeschlechtern, die in der historischen Forschung bislang meist als schwach und wenig erfolgreich dargestellt wurden. Die Gründe dafür waren vielfältig und in erster Linie bestimmt durch das relativ frühe Aussterben des Geschlechts im Mannesstamm sowie durch die einseitige Ausrichtung des Blicks früherer landesgeschichtlicher Forschung auf die Territorialpolitik. Die von Christine Reinle betreute Gießener Diss. vermeidet teleologisch geprägte Narrative und versucht stattdessen vornehmlich anhand des von Jürgen Dendorfer entwickelten Modells die den Grafen von Diez während des MA zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume auszuloten und so zu einer neuen Bewertung zu gelangen. Die Arbeit profitiert von der mittlerweile durch eine intensive Erschließung im Internet zugänglichen Urkundenüberlieferung vor allem der staatlichen Archive in Wiesbaden, Marburg und Koblenz. Methodisch geht K. von den genealogischen Verhältnissen aus, wendet sich sodann der Hofpräsenz der Grafen zu und untersucht zuletzt den Herrschaftsaufbau in der territorial zersplitterten Grafschaft Diez. In einer umfassenden Interpretation der Urkunden werden die bisher vertretenen Thesen von ursprünglichen verwandtschaftlichen Verbindungen der Grafen von Diez zum übrigen mittelrheinischen Adel, namentlich den Grafen von Katzenelnbogen, von Nassau, von Sayn, von Runkel und von Leiningen, mit Aussagen der älteren Forschung abgeglichen und kritisch bewertet. Abgesehen von den üblichen Anstrengungen zur Wahrung der Ehre und des Ansehens ist insgesamt keine dynastische Strategie der Grafen zu erkennen. Es gelang ihnen nicht, Konnubien mit in der Reichshierarchie höherstehenden Adelsfamilien einzugehen und in der Adelshierarchie aufzusteigen. Die mit großer Akribie anhand der urkundlichen und chronikalischen Aufzeichnungen und vor dem Hintergrund der politischen Aktionen des Königtums untersuchte Hofpräsenz der Grafen von Diez kann auch keine nennenswerte Königsnähe feststellen. Der mit rund 140 Seiten umfangreichste Teil der Arbeit widmet sich der Herrschaftsausübung der Grafen, deren Kernbesitz sich im Lahn- und Weiltal konzentrierte, im Übrigen aber aus Streubesitz im Gebiet des Westerwalds, des Taunus, der Wetterau und Rheinhessens bestand. Die Untersuchung über Burg- und Siedlungsbau, Gründung von Klöstern und Stiften, Hofhaltung, „Interaktionen mit benachbarten Herrschaftsträgern“ (S. 155) sowie die wirtschaftliche Betätigung der Grafen muss sich zwar fast ausschließlich auf normative Quellen stützen. Dennoch lassen sich zahlreiche neue Erkenntnisse über die Verwaltung und die Motivationen der Grafen beim Ausbau und Erhalt ihres Herrschaftsraums gewinnen. Dank einer sorgfältigen und umfassenden Sichtung der Quellen ist es K. gelungen, die Handlungsspielräume dieses mittelrheinischen Adelsgeschlechts in ein neues Licht zu rücken und vielfältig zu korrigieren.
Klaus Eiler