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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Kathrin Henschel, Sicut in caelo et in terra – Himmlische Kritik an irdischen Verhältnissen. Historisch-kritisch-exegetische Untersuchungen zu Walahfrid Strabos Visio Wettini (Relectio 5) Ostfildern 2023, Jan Thorbecke Verlag, 383 S., ISBN 978-3-7995-2804-7, EUR 45. – H. widmet sich in ihrer bei Stefan Esders entstandenen Diss. der Visio Wettini in der Fassung des Walahfrid Strabo. Zentral ist die Frage nach den „politischen Aussagen“ (S. 91) des Textes. In der Einleitung stellt die Vf. den Inhalt der Visio Wettini vor, befasst sich mit den Hss. und den verfügbaren Editionen. Die Geschichte der Erforschung des Textes zeichnet sie bis zu einem Aufsatz von 2015 nach, um schlussendlich auf eine Reihe an Forschungen zu verweisen, in denen verschiedene spezifische, beispielhaft genannte Gesichtspunkte der Dichtung berührt würden. Die Visio als mit politischen Aussagen gesättigtes Werk begreifend, formuliert sie als Ziel der Arbeit, durch eine „historisch-kritisch-exegetische Untersuchung“ die „politisch-kritischen Aussagen“ (S. 21) festzustellen und ihre Einordnung in den historischen Kontext der Zeit vorzunehmen. Als Voraussetzung müsse in einem ersten Hauptteil eruiert werden, wie Walahfrid „den Aussagen seiner Visio Wettini Geltung verschafft“ und „wie er die Akzeptanz der getroffenen politischen Aussagen herstellt“ (S. 21). Auf dieser Basis geht es im zweiten Hauptteil darum, die politischen sowie religiösen Absichten zu ermitteln, die Walahfrid beim Schreiben beschäftigt haben. Durch die Verwendung von Texten unterschiedlicher Genera soll die Kontextualisierung ermöglicht werden. Abschließend resümiert H., dass die Befunde der Arbeit zeigen könnten, „dass eine Dichtung … durchaus das Potential hatte, Kritik an den Verhältnissen im Karolingerreich zu üben und auf ihre sehr spezielle Weise politische Aussagen zu treffen“ (S. 328). Spannend wäre es gewesen, die Deutung der Strafe Karls des Großen in Form des Zerfleischens seines Geschlechtsteils (vgl. S. 147–174) als „Kritik“ (S. 147, 151, 166, 173) am Herrscher in Bezugnahme auf die divergierend-nuancierte Interpretation der Visio Wettini und spezifisch der Stelle zu Karl bei Mayke de Jong (The Penitential State, 2011) als Beispiel für die in der Karolingerzeit zentrale admonitio dezidiert aufzugreifen. Der Aspekt der Mahnung wird zwar angesprochen (bspw. S. 166f.), die Deutung als Kritik ist aber bestimmend. Mit ihrer gelungenen, quellengesättigten Analyse des komplexen Textes ist die Arbeit H.s ein wichtiger Beitrag zur Walahfrid-Forschung, der aktuelle Perspektiven auf den Autor – die Frage der Politik in Walahfrids Œuvre findet in jüngerer Zeit auch andernorts wieder Beachtung – und die Karolingerzeit insgesamt zielführend aufgreift.

Christian Stadelmaier