Monde canonial, monde monastique. Mutations et conversions de statuts (IXe–XIIe siècle), sous la direction de Noëlle Deflou-Leca / Anne Massoni (Collection Histoire) Rennes 2024, Presses univ. de Rennes, 363 S., 38 Abb., ISBN 978-2-7535-9558-3, EUR 26. – Der Sammelband, der die Ergebnisse eines videogestützten Kongresses im Jahr 2020 präsentiert, verfolgt das Ziel, die – so die Ausgangsthese – in der bisherigen Forschung getrennt gehaltenen Bereiche des kanonikalen und des monastischen Gemeinschaftslebens enger zusammenzuführen, vor allem indem Umwandlungen von einem zum anderen Typus untersucht werden. Behandelt werden die Chronologie und die Umstände der Transformationen, ihre Akteure, einschließlich von Bischöfen und weltlichen Herrschern, und die architektonischen Gestaltungen der der Umwandlung unterworfenen Gemeinschaften. Entgegen den Bemerkungen in der Einleitung sind weibliche Kanonissen nicht in die Untersuchung einbezogen, was offensichtlich die Konsequenz daraus ist, dass nur französischsprachige Gebiete, z.T. auch außerhalb des Königreichs Frankreich, erfasst werden. Die Beiträge können als Fallstudien gekennzeichnet werden; mitunter nehmen sie auch den Typus von Katalogen an, so insbesondere Patrice Wahlen (S. 143–150) zu den Entwicklungen im Bistum Auxerre. Weitgehend ausgeblendet werden hingegen überregionale Traditionen und Ideale; es fehlen die Einflussfaktoren Papsttum und Synoden und vor allem charismatische und legitimitätsstiftende Gründerfiguren. So wird bei der Frage, warum das Kloster Saint-Denis bei Paris anders als andere Gemeinschaften auf der Fortführung des benediktinischen Mönchtums beharrte (Vincent Tabbagh, S. 169–181), die Bedeutung des Klosterpatrons Dionysius und der pseudo-dionysischen Texte zur kirchlichen und himmlischen Hierarchie, die dem Mönchtum eine Spitzenposition gegenüber dem Episkopat zuweisen, nicht gewürdigt, obwohl Abt Hilduin eine lateinische Übersetzung der griechischen Texte verfasste und die Dionysius-Verehrung in das Zentrum des Selbstverständnisses rückte. Die Bedeutung von Texten des Augustinus, die als Normtexte für die kanonikale Lebensordnung im hohen MA entdeckt und angewandt wurden, wird gleichfalls nicht erfasst. Weil die Relationen zwischen den einzelnen Gemeinschaften wenig beachtet werden, leidet der Band an einem blinden Fleck hinsichtlich der Wirkung von Reformimpulsen, die von modellhaften kanonikalen Institutionen wie Saint-Victor in Paris, von Gründergestalten wie Norbert von Xanten oder von Kritikern des bestehenden religiösen Gemeinschaftslebens wie Gerhoh von Reichersberg ausgingen, wie auch Reformbestrebungen des benediktinischen Mönchtums, die zu organisierten Orden führten, nicht berücksichtigt sind. Die Wirkungen von Idealbildungen sind unterbelichtet. Der Band bleibt im Gestrüpp von Stifts- und Klostergeschichten stecken und verzichtet darauf, einen Beitrag zu leisten zum Verständnis von Veränderungen des religiösen Gemeinschaftslebens im okzidentalen Europa. So bleibt letztlich als Verdienst, Grundlagenwissen zu Verbindungen zwischen Kloster und Stift und ihren Veränderungen erarbeitet zu haben. Entgegen dem Anspruch ist dies indes keine Korrektur der Forschungslage, aber immerhin deren erweiterte Fundierung.
Hans-Joachim Schmidt