DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. XVII. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Thurgau. Zweiter Teil: Stadtrechte. Zweiter Band, 1.–3. Teil: Die Rechtsquellen der Stadt Bischofszell und der benachbarten Gerichte und Herrschaften Schönenberg, Heidelberg und Hohentannen, Ötlishausen, Zihlschlacht und Blidegg, Hauptwil, St. Pelagii Gottshaus, Sitterdorf, bearb. von Martin Salzmann mit Registern von Vera Zürcher, Basel 2023, Schwabe Verlag, 3 Bde., 562 S. (Verzeichnisse, Einleitung, Register) u. 1420 S. (Edition), ISBN 978-3-7965-4792-8. – Nach den 2017 publizierten Quellen zur Landeshoheit des Kantons Thurgau nehmen die vorliegenden drei Bände die Herausgabe der Sammlung thurgauischer Stadtrechte in Angriff. Der noch ausstehende erste Band sollte dem Stadtrecht von Arbon gewidmet sein; doch ist nun mit Bischofszell die zweite bischöfliche Stadt im Thurgau der ersten vorgezogen worden. Bisher verfolgte die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen bei den Stadtrechten ein Konzept, gemäß dem die historischen Herrschaftsverhältnisse entscheidend für die geographische Eingrenzung des edierten Materials sein sollten, wie zuletzt exemplarisch bei den Stadtrechten von Winterthur (vgl. DA 79, 735–738) praktiziert. Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb bei dieser Rechtsquellensammlung neben dem Stadtrecht von Bischofszell auch die Rechtsquellen umliegender Gerichte und Herrschaften in die Edition einbezogen wurden, und zwar unabhängig davon, ob die rechtsgeschichtlich fassbaren Bindungen dieser Orte an die Stadt eng (wie im Fall von Hohentannen, Schönenberg und St. Pelagii Gottshaus) oder praktisch inexistent waren (wie im Fall des abt-sanktgallischen Sitterdorf und der Herrschaft Zihlschlacht). Im ersten Unterkapitel der Einleitung bestätigt der Bearb., dass er das „geographische Prinzip“ vor jenes der „Rechtsinhaber“ gestellt habe, und macht einige auf den ersten Blick plausible praktische und editionstechnische Gründe dafür geltend. Diese laufen aber letztlich darauf hinaus, vormoderne Herrschafts- und Verwaltungshierarchien bei der Materialauswahl künftiger Editionen thurgauischer Rechtsquellen zu ignorieren und die Territorien allein entlang moderner politischer Grenzen und regionaler Zugehörigkeiten bzw. „Nachbarschaften“ zu bestimmen (S. 85f.). – Die Quellenlage für die getroffene Auswahl kann als komfortabel gelten; der Bearb. stellt sie ausführlich dar und gibt einen Überblick über die unterschiedlichen kirchlichen und lokalen Archive, die nebst den in den Staatsarchiven der Kantone Thurgau, Luzern und Zürich und im Generallandesarchiv Karlsruhe vorhandenen Beständen der weltlichen und kirchlichen Instanzen von ihm herangezogen und systematisch ausgewertet worden sind (S. 86–88). In einem eigenen Exkurs wird die Bedeutung und Problematik einer umfangreichen und mit Registern erschlossenen Quellensammlung des Stadtschreibers Johann Kaspar Diethelm aus der Mitte des 18. Jh. dargestellt (S. 88–91). Das Kernstück der Einleitung besteht jedoch in einer wohlinformierten und anschaulich geschriebenen Geschichte der Rechtsverhältnisse der Stadt Bischofszell und ihres Umlands (S. 91–111). Diese Darstellung stellt alles in den Schatten, was an älteren Stadtgeschichten bisher verfügbar war, und sie ist selbstredend auch ein Kommentar zu den ausgewählten Stücken der Edition, die dadurch in ihren geschichtlichen Kontext eingebettet werden. Den Schwerpunkt seiner Darstellung wie auch der Quellenauswahl setzt der Bearb. zu Recht nicht im MA, sondern in der frühen Neuzeit, denn mit der Annahme der Reformation durch die Stadtbürgerschaft begann ein konfliktreicher Dualismus von reformierter Mehrheit in Räten und Bevölkerung einerseits und katholischem Kollegiatsstift innerhalb der Stadtmauern, dem bischöflichen Stadtherrn und seinen ab 1535 aus der katholischen Nobilität der Innerschweiz oder Süddeutschlands rekrutierten Stadtvögten andererseits – mit einem entsprechend hohen Ausstoß an juristisch relevanter Schriftlichkeit. Diese Konstellation prägte das innerstädtische Geschehen und bildete die Folie, vor der sich auch Auseinandersetzungen abspielten, die als innerkonfessionelle Konflikte begannen, wie in dem Unterkapitel über Unruhen in Bischofszell und den „Zwinger Handel“ (S. 100–106) beispielhaft herausgearbeitet wird. Den Abschluss des darstellenden Teils der Einleitung bilden „benachbarte Herrschaftsgebiete“: sieben kurze geschichtliche Abrisse von Gerichtsherrschaften im Umland der Stadt mit unterschiedlichen rechtlichen Beziehungen zu ihr (S. 111–123). Als Annex werden die Vögte von Bischofszell ab 1276 und die für die Politik in der Stadt besonders wichtigen Bischofszeller Stadtschreiber ab deren erster Erwähnung 1430 aufgelistet. – Die stadtbürgerlichen Rechte der Bischofszeller werden erstmals in einer Bestätigungsurkunde Bischof Ulrichs von Konstanz vom 21. Juli 1350 dokumentiert. Festgelegt werden Erhebung und Einzug von Bußen und Steuern und deren Verteilung zwischen Herrschaft und Stadt (Nr. 8). Bereits am 23. April 1380 erhielt Bischofszell das erste einer ganzen Reihe von königlichen und kaiserlichen Privilegien: Es untersagt, Bürger der Stadt vor fremde Gerichte zu ziehen, und es erlaubt, geächteten Personen in der Stadt Aufnahme zu gewähren (Nr. 29). Wie selbständig die Bürger Bischofszells bereits im Spät-MA ihr Stadtleben, die Anwendung des Lehens- und Erbrechts, die Verhältnisse zwischen Eingesessenen und Fremden („gästen“) sowie das Abgaben- und Bußenwesen, aber auch den Fleischverkauf lokaler Metzgereien oder die Brandbekämpfung regelten, dokumentiert eine erst 1572 im Zuge des Konflikts zwischen der protestantischen Stadt und dem Bischof und seinem Vogt vor der eidgenössischen Tagsatzung vidimierte Aufzeichnung von Rechten und Gesetzen (Nr. 251). Dieses Vidimus ist von der Forschung und der Lokalgeschichte bislang nicht beachtet worden. Der Bearb. datiert den weitgehend noch in mittelhochdeutscher Sprache verfassten Text mit guten Gründen ins 14. Jh. und stellt ihn gattungsmäßig in die Nähe dörflicher Offnungen (S. 92f.). Ein weiteres Dokument der Selbstverwaltung ist die bischöfliche Urkunde vom 2. September 1402, dergemäß der Bischof ohne Einwilligung der Stadträte seiner Stadt keine neuen Satzungen aufzwingen durfte (Nr. 40 b). Prägend für die Entwicklung der folgenden Jahre war die in diesem Zeitraum festgelegte Kompetenzenverteilung zwischen bischöflichem Vogt und Stadt. Der Vogt hatte künftig bei seinem Amtsantritt die Freiheiten und Rechtsgewohnheiten der Stadt zu beschwören, so fassbar im ersten überlieferten Eid eines Vogts vom 1. Mai 1403 (Nr. 41). Ein aufschlussreiches Licht auf die politischen Verhältnisse, die Bauweise der vorstädtischen und städtischen Häuser sowie die städtische Topographie wirft ein bischöflicher Erlass vom 28. Februar 1410: In der Zeit der Appenzellerkriege wurden auf Rat der Ritterschaft vom St. Jörgenschild Häuser in der Vorstadt Bischofszells abgebrochen und innerhalb der Stadtmauern in verschiedenen Höfen des Chorherrenstifts wieder aufgebaut. Die Urkunde besagt nun, dass im Fall einer erneuten Dislozierung dieser Häuser der frei gewordene Raum nicht neu bebaut werden dürfe (Nr. 45). Der Vertrag zwischen Bischof Otto von Konstanz und der Stadt Bischofszell über den Bau zweier Brücken über die Thur und die Sitter vom 27. Mai 1479 ist oft beachtet worden, weil die damals gebaute Thurbrücke als eindrückliches Beispiel spätma. Brückenbaukunst noch heute sichtbar ist. Die Übereinkunft zeigt aber auch, wie selbstbewusst die Bürgerschaft am Ende des 15. Jh. ihrem Stadtherrn gegenübertrat und Bau und Unterhalt der Brücken auf eigene Kosten übernahm, obwohl dies Aufgabe des Bischofs gewesen wäre, sich aber gleichzeitig durch eine Reduktion von Steuern und Abgaben dafür honorieren ließ (Nr. 99). Die Beispiele solcher Dokumente in der vom Bearb. gebotenen Auswahl, die über ihren rechtlichen Charakter hinaus mannigfache Aspekte der politischen Geschichte, der materiellen Kultur, der religiösen Praxis wie des täglichen Lebens in einer eher ländlichen Umgebung beleuchten, könnten beliebig erweitert werden. Das edierte Konvolut an Texten ist mit Umsicht ausgewählt worden und zeugt von stupender Kenntnis der Quellen jeder möglichen Provenienz wie auch der älteren und jüngeren Literatur. – Regesten und Einleitungen zu den Einzelstücken sind bewusst kurz gehalten, und wenn man hier etwas bemängeln wollte, so höchstens die fehlenden Querverweise auf die Ausführungen in der Einleitung. Pech für alle, die das Werk nur selektiv benützen und die Einleitung übersprungen haben. – Das dreiteilige Register umfasst die Personen, Familien und Organisationen, die Orte und die Sprache. Besonders Letzteres, das Sachregister und Glossar, zeugt nicht nur von immensem Fleiß (es füllt rund die Hälfte von Band 1), sondern auch von Vertrautheit mit dem Vokabular und den Sprachgewohnheiten des Untersuchungsgebiets in einem Zeitraum von gut 500 Jahren. Hinter dem dreibändigen Werk steckt neben jahrelanger Arbeit, Kenntnisreichtum und Übersicht in den großen Zügen auch Akribie im Detail. Dazu gehört z.B., dass in den Quellennachweisen bei jenen Beständen, die im Verlauf der letzten Jahre neu auf Dokumentenstufe erschlossen wurden, die erweiterten Archivsignaturen allesamt berücksichtigt sind.

Hannes Steiner