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Nikolaus Staubach, Rex Christianus: Das Herrscherbild Karls des Kahlen. Historische Voraussetzungen und politische Implementierung (Pictura et poesis 36) Köln / Wien / Weimar 2024, Böhlau, 363 S., ISBN 978-3-412-53173-7, EUR 75. – In der Vorbemerkung gibt der Vf. an, mit diesem Buch den 1993 erschienenen zweiten Band seines Werks zu Karl dem Kahlen als Rex christianus „zu komplettieren, um das Konzept des ‘christlichen Königs’ von seinen antiken Voraussetzungen bis ins 9. Jahrhundert zu verfolgen“ (S. 7). Obwohl der Titel dies nicht zu erkennen gibt, handelt es sich somit um den von der Forschung lang erwarteten ersten Band von „Rex christianus“. Einem Kenner der Karolingerforschung wird darüber hinaus nicht entgehen, dass das neue Buch auf weite Strecken mit der Diss. des Vf. identisch ist, die 1981 verteidigt wurde und als maschinenschriftliche Reproduktion in vielen Bibliotheken Deutschlands verfügbar ist. Bekannt ist die Diss. vor allem (aber nicht nur) aufgrund der überzeugenden Zuschreibung eines hsl. Dossiers an Bischof Adventius von Metz, der in den Ehestreit Lothars II. verwickelt war und (nach S.) als einziger ernsthafter Gegner Hinkmar von Reims Paroli bieten konnte. Diese wichtigen Erkenntnisse sind fast vollständig in das Buch eingegangen. Lediglich die Tabellen (S. 163f.) und Stilanalysen (S. 278–284), die der Diss. beigegeben waren, wurden nicht aufgenommen. Ohne dass sich dies dem Buch entnehmen lässt, erstreckt sich der weitgehend identische Teil von S. 145 bis S. 325 und umfasst folgende Kapitel: Karl der Kahle im Spiegel einzelner Autoren (Ermoldus Nigellus, Walahfrid Strabo, Frechulf von Lisieux, Nithard und anonyme, Karl gewidmete Gedichte), die Invasion Ludwigs des Deutschen im Spiegel Hinkmars, der Ehestreit Lothars II., der Konflikt der beiden Hinkmare und die Erhebung Karls zum König des Lotharreichs. Die Überschriften sind gegenüber der Diss. verändert, auch ist neue Forschungsliteratur in die Fußnoten und in einzelne zusätzliche Absätze eingeflossen. Neu sind dagegen die ersten beiden Kapitel über die historischen Voraussetzungen: das erste zur „christlichen Adaption traditionaler Königsbilder“ von Homer bis zur Etablierung der Königssalbung (S. 19–72) und das zweite zum Verhältnis von Kirche, Imperium und Königtum im Frankenreich (S. 73–144). Für die Kernthese des Buchs ist der Abschnitt zur Regierungszeit Ludwigs des Frommen in zweifacher Hinsicht grundlegend: Erstens habe Karl der Kahle aus den Erfahrungen seines Vaters gelernt, der mit der Unzufriedenheit der Bischöfe in Bezug auf die „geistliche Oberaufsicht“ des Kaisers (S. 123) konfrontiert war und eine „Mahn- und Kontrollfunktion“ (S. 134) der Bischöfe anerkennen musste. Karl habe es folglich vermieden, „die Maximen der christlichen Herrscherethik allzu wörtlich in der Praxis zu befolgen“ (S. 144), und konnte erfolgreich „die kirchliche Doktrin ... durch ‘Ritualisierung’“ (S. 178) entschärfen. Auch in einer zweiten Hinsicht ist für S. die Zeit Ludwigs prägend: Die Geschehnisse auf dem Lügenfeld in Colmar 833 hätten gezeigt, was „politische Publizistik“ bewirken habe können; die Gefangennahme des Kaisers sei „ein Sieg der Volksbeeinflussung und Propaganda“ (S. 139) gewesen. Karl habe aus diesen Erfahrungen heraus „die Autorität des ‘rex christianus’ neu zu sichern“ versucht, und zwar „durch eine die Idoneität des Königs wirkungsvoll demonstrierende Herrschaftspropaganda“ (S. 18). Methodisch ist der Vf. dem Werk Percy Ernst Schramms verpflichtet: Er bietet eine ideengeschichtliche Deutung der Politik des 9. Jh., in der viel von „Theokratie“, „reichskirchlichem Modell“ und „Reformprozessen“, weniger von ökonomischen Ressourcen, personellen Netzwerken und sozialen Konflikten die Rede ist. Gegenüber den Protagonisten (Hinkmar, Karl und Adventius) ist die Darstellung von großer Sympathie getragen: Karls Leitbild des „rex christianus“ habe „einen Gewinn an Rationalität und Sachlichkeit in die Politik“ gebracht (S. 180); Adventius sei kein „Doppelagent“ gewesen, sondern ein „Diplomat und ausgleichender Vermittler“ (S. 251), der vom „Wunsch nach politischer Stabilität und ‘Frieden’“ beseelt gewesen sei (S. 284); Hinkmar habe als „gewissenhafte Wächterstimme“ (S. 303) agiert. Angesichts der Bedeutung, die S. der „Propaganda“ und „Publizistik“ zuschreibt, hätte man gerne mehr über die hsl. Verbreitung und die angenommene Leserschaft der besprochenen Texte erfahren. Gleichwohl liest man das Buch mit Gewinn: Besonders die philologischen Bemerkungen (etwa zum Begriff der unitas auf S. 136, zur quinta pars bei Walahfrid Strabo auf S. 151, zu Emendationen in Hinkmars Quaterniones auf S. 291 und zu den kritischen Glossen Gottschalks zur Remigius-Legende auf S. 327) sind von hohem Interesse. Leider endet das Buch abrupt ohne Zusammenfassung und Register.

Karl Ubl