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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Bartolomeo da Ferrara, Tractatus predicandus in civitate pestilenciata. Edizione critica a cura di Giovanni Paolo Maggioni. Introduzione a cura di Chiara Crisciani / Tommaso Duranti / Giovanni Paolo Maggioni (Edizione Nazionale dei testi mediolatini d’Italia 68) Firenze 2024, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, 304 S., 4 Abb., ISBN 978-88-9290-316-6, EUR 70. – Bartolomeo, geboren in Ferrara 1368, trat vor 1387 in seiner Heimatstadt in den Dominikanerorden ein, war als Inquisitor im oberitalienischen Raum tätig und ging bis zu seinem Tod 1448 einer ausgedehnten Predigttätigkeit nach. Den Zeitgenossen galt er als vir magnarum virtutum, theologus et in divinis scripturis eruditissimus, wovon zwei bisher unedierte Predigtzyklen zeugen, vom Charakter her eher theologische Vorlesungen. 1424 verfasste er eine Schrift (tractatus), in der den Gründen für die im 15. Jh. in steter Regelmäßigkeit auftretenden Pestepidemien nachgespürt wird. Jedes der insgesamt vier Bücher beschreibt eine Kausalkategorie für den Ausbruch der Epidemie (de causis indicativis / de causa inductiva / de causis repulsivis / de causis remediativis). Der Traktat, der zu Recht als „forse la più ampia trattazione monografica finora conosciuta sulla predicazione in tempo di peste“ (S. 58) charakterisiert wird, wartet im Titel mit zwei Begrifflichkeiten auf, die die inhaltliche Stoßrichtung vorgeben: moralis und predicandus. Verwiesen wird damit einerseits auf die durch das Verabreichen „geistig-geistlicher Medizin“ beförderte moralische Grundierung menschlichen Verhaltens überhaupt, andererseits auf die erhoffte Rezeption des ausgebreiteten Stoffs durch die ungebildeten und illitteraten, in der Einleitung zum ersten Buch angesprochenen rudes, denen solche Information allein im Medium des gesprochenen Wortes (also etwa während einer Predigt) zugänglich war. Performanzmarker im Text (domini mei, fratres mei, filii karissimi, hodie tractandus est, heri audivistis) legen tatsächlich eine konkrete Predigtsituation nahe – der Hypothese, es könne sich um eine Verschriftlichung tatsächlich gehaltener Predigten handeln, deren Inhalte in Traktatmanier post festum systematisiert wurden, eignet einiges an Wahrscheinlichkeit. Der von M. besorgten Edition des lateinischen Texts sind drei einleitende Beiträge vorgeschaltet. Während D. den zeitgenössischen historischen Hintergrund skizziert (S. 3–56), nimmt C. nicht allein das Opus des Bartolomeo da Ferrara, sondern viele weitere, annähernd zeitgleich im mittel- und oberitalienischen Raum entstandene Pesttraktate und -predigten in den Blick (S. 57–105). M. beschreibt schließlich die einzige Hs., in der sich Bartolomeos Text überliefert findet (Florenz, Bibl. Nazionale Centrale, Conv. Soppr. G. VIII. 1459) (S. 107–121). Der Traktat war sicherlich kein „oggetto di frenetiche ricopiature“ (S. 108). Der codex unicus besticht durch die Qualität der Ausführung und das verwendete kostbare Pergament. Vielleicht wollte der Ferrareser Konvent dadurch das Andenken an seinen berühmten Mitbruder ehren. Ferrara wurde 1424 von einem verheerenden Pestausbruch heimgesucht, dem die Bevölkerung hilflos ausgeliefert war. Die Ärzte verwiesen zwar nicht mehr (wie noch 1348 geschehen) auf die Flucht als probates Heilmittel (war sie doch in einer Zeit, in der außerhalb der unbefestigten Städte Krieg herrschte, nicht immer die beste Lösung), sondern versuchten, auf eine effektive Separierung der Kranken zu drängen, doch waren ihre Erfolge insgesamt bescheiden. Die beiden vorherrschenden Erklärungsmuster – Ansteckung durch verderbte Luft bzw. von Mensch zu Mensch – hatten sich noch nicht derart eng miteinander verzahnt, um daraus tatsächlich wirksame Maßnahmen abzuleiten. Dies sollte erst einige Jahre später im Zug einer obrigkeitlich verordneten „Gesundheitspolitik“ geschehen. Bartolomeo da Ferrara selbst, dessen Traktat in erster Linie religiöse und spirituelle Ziele verfolgt, räumte zwar ein, dass im Fall einer natürlichen Ursache der Pest ein medizinisches Eingreifen sinnvoll sei, doch war diese Art des Hilfsangebots den von den Priestern offerierten spirituellen Heilmitteln klar untergeordnet. Die geistig-geistliche Medizin stand für ihn im Vordergrund. Zu ihr gehörte die Predigt, die gerade in Pestzeiten zu Buße und Umkehr anregen sollte und als causa remediativa pestis galt. Interessanterweise hatten Predigten bei der Bewältigung der „Großen Pest“ von 1348 noch eine ganz und gar untergeordnete Rolle gespielt. Im 15. Jh. hingegen erblühte das Genre der „Pestpredigt“ vor allem im italienischen Raum. Bartolomeos Traktat, eine Art „Pestschrift moralis“ (S. 70), ist Teil einer Strategie, die auf die Wirkkraft der persönlichen Buße als Mittel zur Bewältigung der Pest setzte. Der Ferrareser Dominikaner versuchte darin, „con una notevole freddezza intellettualistica, distacco erudito e dottrinale neutralità ... consegnare una completa ed esauriente lettura della peste in chiave teologica e scritturale“ (S. 104). Dieses Vorhaben ist ihm gelungen. Die Edition, philologisch über jeden Zweifel erhaben, verfügt über einen Apparatus criticus, der vor allem für die Konjekturen von Bedeutung ist, und einen Apparatus fontium. Indices der Hss., der Personen- und Ortsnamen und der im lateinischen Text angeführten Namen erschließen einen Text, der in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte, gewährt er doch Einblick in den Umgang mit und die Bewältigung von Katastrophen, die das gesellschaftliche Gefüge im ausgehenden MA immer wieder erschütterten.

Ralf Lützelschwab