Florian Tobias Dörschel, Ritterliche Taten der Gewalt. Formen und Funktionen physischer Gewalt im Selbstverständnis des deutschen Rittertums im ausgehenden Mittelalter (Studies in Medieval and Reformation traditions 233) Leiden / Boston 2023, Brill, XIII u. 383 S., Abb., ISBN 978-90-04-30220-4, EUR 140. – Die Studie, die auf einer Augsburger Diss. von 2021 beruht, ist an der Schnittstelle von Ritter- und Gewaltforschung angesiedelt. Insbesondere im Anschluss an Richard Kaeuper vertritt der Vf. die These, dass es die physische Gewalt war, die den Ritter zum Ritter machte, d. h. die Fähigkeit und Bereitschaft, sie auszuüben, ja sogar der „Spaß“ (S. 79) daran. Der Vf. wertet eine beeindruckende Fülle von Quellen aus, insbesondere Biographien und Autobiographien. Zwischenfazits und dezidierte Aussagen machen den Band leicht zugänglich. Der Einleitung folgen zwei Kapitel, in denen der Vf. große Themenfelder streift (Adel und Rittertum, Ritterideal, Ritterbegriff und Ritterschlag), um die These von der Zentralität der Gewalt im Rittertum zu untermauern. Hier zeigt er u.a. überzeugend, dass ein angebotener Ritterschlag nicht aus finanziellen Gründen abgelehnt wurde, sondern dann, wenn gerade keine Gelegenheit bestand, in einem Kampf öffentlich zu beweisen, dass man die Ehrung auch wirklich verdient hatte (Kapitel 1.2). Auch eine „ritterliche Bildungsfeindlichkeit“ wird nachgewiesen (Kapitel 2.2). Das umfangreichste Kapitel 3 widmet sich der kriegerischen Praxis (einschließlich Turniere und Reisen) und weist nach, dass das Rittertum auch im spätma. Reich seine militärische Relevanz behielt. Es folgen vier Kapitel, die teils weitere große Themen aufgreifen, teils bereits im Band behandelte Themen vertiefen: Kapitel 4 untersucht die Gründe für den Niedergang der ritterlichen Fehde, Kapitel 5 die Ehre, Kapitel 6 die ritterliche Gewalt als soziale Kommunikation, Kapitel 7 die Gewalt Nichtadliger. Eine dreiseitige Auswertung schließt den Band ab. Der Vf. betrachtet das Kernthema der Arbeit somit aus vielfältigen Blickwinkeln. Die Wechselwirkungen von Normen und Praktiken werden besonders gut herausgearbeitet. Es hätte die Analyse geschärft, wenn noch konsequenter zwischen dem Kampf zwischen Gegnern und der Gewalt gegen Opfer unterschieden worden wäre (beide sind, wie der Vf. nun auch für das spätma. Reich verdeutlicht hat, für das Verständnis des Rittertums zentral, aber gerade für die Analyse von Ego-Dokumenten sind z.B. die Überlegungen von William Ian Miller interessant, für den Gewalt immer Täter, Opfer und Zeugen impliziert). Der Vf. hat jedoch mehrfach bewiesen, wie ergiebig seine Quellen für die Ritter- und Gewaltforschung sind. Sein Verdienst ist es u.a., Studien zu weiteren, mehr oder weniger klassischen Ansätzen der Ritterforschung anzuregen, z.B. zu den Themen Mündigkeit, Männlichkeit oder Emotionen.
Max Lieberman