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Il Liber Maximus A del Capitolo cattedrale di Treviso, a cura di Alfredo Michielin (Testi 5) Roma 2023, Viella, 650 S., Abb., ISBN 979-12-5469-395-7. – M. bietet eine sorgfältige Edition des sogenannten Liber Maximus A (Treviso, Bibl. capitolare, 6, im folgenden Liber), einer Pergamenths. des Domstifts von Treviso aus dem 14. Jh., die unter den Archivbeständen des Kapitels einzigartig ist. Es handelt sich um ein Register, das Dokumente aus dem weitgespannten Zeitraum von 1098 bis 1335 versammelt. Der Liber besteht aus zehn Faszikeln im Format 58,5 x 40,5 cm; am Anfang steht ein unbeschriebenes Doppelblatt, darauf folgen zehn Sexternionen und ein abschließender Quinternio. Aufbau und Inhalt der Hs. sind in einigen Tabellen gut und verständlich zusammengefasst (etwa S. 12f., 31 und 46). Vor der eigentlichen Edition – die Editionskriterien werden auf S. 56f. vorgestellt – findet sich eine informative Einleitung, die einige Charakteristika des Liber erläutert, insbesondere das Grundgerüst, die Anlage und die Auftraggeber. Der Liber stellt sich dar als ein Memorialwerk des Kathedralkapitels, bestehend aus 312 Dokumenten, ausgewählt aus dem beachtlichen Fundus von etwa 1740 Einzelstücken des Archivs; es handelt sich freilich nicht um eine wahllose Anhäufung (so der Vf.) einzelner Urkunden, sondern um eine bewusste Redaktion in verschiedenen Gruppen, die vorwiegend nach topographischen Kriterien geordnet sind und den wachsenden Besitzstand des Kapitels dokumentieren, wie er sich ausgehend von großzügigen Schenkungen der Trevisaner Bischöfe im 11. und 12. Jh. entwickelte. Drei Gruppen von Notaren waren an der Herstellung des Liber beteiligt; anhand ihres Wirkens kann der Vf. vier Entstehungsphasen bzw. Abschnitte gegeneinander abgrenzen: den Faszikel des Notars Artusio fu Guglielmo da Nogaré, den des Notars Pietro, einige Faszikel ohne Autor und Nachträge des Notars Trivisio di Pietro Baçalerius (die erst nach der 1335 erfolgten Fertigstellung des Liber entstanden sind). Die Edition gibt die Stücke in derselben Reihenfolge wieder, wie sie in der Hs. angeordnet sind. Um die Dokumente chronologisch zu ordnen, bietet M. eine nützliche „Tavola riepilogativa dei documenti in ordine cronologico“ (S. 576–582). Was die Frage nach Zweck und Anlass der Redaktion und die nach den Auftraggebern angeht, glaubt M. anders als die bisherige Forschung nicht, dass sie den Scaligern zuzuschreiben ist; vielmehr kann sie auf die Initiative des Kapitels selbst zurückgeführt werden und fügt sich in den Rahmen ganz ähnlicher Aktivitäten der Bischöfe – mit dem Codex AC – und der Kommune – mit dem Codex Tarvisinus. Damit erscheint das Kapitel als der Anreger, der primus movens, der Bestandserhebung und Sortierung der Quellen. Das Interesse der Kanoniker daran, ihren Besitz zu dokumentieren und sich dabei, wenn auch spät, der innovativen Praxis der Niederschrift in einem Buch zu bedienen, ist vor dem Hintergrund äußerster Belastungen zu sehen, denen die Stadt sieben Jahre nach der Einnahme durch die Scaliger ausgesetzt war, die unter gewaltigen Kriegskosten und einer schweren Steuerlast zu leiden hatte. Der Liber kann so nach M. gelesen werden als eine letzte Anstrengung des Trevisaner Kapitels, um die Verwaltungsautonomie zu wahren, bevor es sich dem tiefgreifenden und nachhaltigen Eindringen der venezianischen Herrschaft ergeben musste. Die hervorragende Edition stellt ein außergewöhnliches Werkzeug zur Verfügung, um die Geschichte des Kathedralkapitels und der Gesellschaft von Treviso in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren, damit das Gedächtnis solcher Institutionen nicht, wie so häufig, im Schweigen des Vergessens verlorengeht, wie es Emanuele Curzel formuliert hat: „ai capitoli si fa cenno, generalmente, mentre si parla d’altro, così che l’istituzione in sè viene illuminata, semmai, di luce riflessa“.

Caterina Ciccopiedi (Übers. V. L.)