Late Medieval Devotion to Saints from the North of England. New Directions, ed. by Christiania Whitehead / Hazel J. Hunter Blair / Denis Renevey (Medieval Church Studies 48) Turnhout 2022, Brepols, 456 S., Abb., ISBN 978-2-503-58851-3, EUR 115. – Den ma. Heiligen Nordenglands gilt gegenwärtig ein zunehmendes Interesse der Mediävistik, denn auf einen 2017 publizierten Sammelband zu den Heiligen Nordostenglands zwischen 600 und 1500 folgt nun eine weitere Publikation, die sich auf die Heiligen dieser Region im Spät-MA (1150–1500) konzentriert. Hervorgegangen ist der Band aus einer Tagung, die das anglistische SNF-Projekt ‘Region and Nation in Late Medieval Devotion to Northern English Saints’ im März 2019 in Lausanne veranstaltet hatte. Die Beiträge stammen aber nicht nur aus den volkssprachlichen Philologien, sondern auch aus der Geschichtswissenschaft und der Kunstgeschichte, nicht aber aus der lateinischen Philologie des MA. Der Schwerpunkt liegt zumeist auf englischen Heiligen, die in Yorkshire, Cumbria und Lincolnshire im Spät-MA verehrt wurden. Auch wenn damit spätantike oder kontinentale Heilige nur am Rand ins Blickfeld kommen, ist besonders hervorzuheben, dass sich die Aufsätze weniger den bereits ausgiebig erforschten prominenten angelsächsischen Heiligen wie Cuthbert, Oswald oder John of Beverley widmen, sondern vor allem den weithin unbekannten und erst im Spät-MA verehrten lokalen Heiligen. Der Tagungsband wird durch eine knappe Einführung eröffnet; die 18 Beiträge sind in fünf Sektionen angeordnet: Die erste Gruppe untersucht mit Hagiographie, Legendarik und Gebeten die Textkulturen, die zweite Sektion mit Architektur, Skulptur und dem aus Heiligengräbern fließenden ‘Öl’ die materielle Kultur. Die anschließenden Fallstudien sind in drei Sektionen zu Eremiten, weiblichen Heiligen und Kulten nordenglischer Heiliger außerhalb von Nordengland gruppiert. Die Leitfrage des Forschungsprojekts und der Tagung nach ‘nordenglischer Heiligkeit’ und nach einer nordenglischen Identität wird von den Aufsätzen in überzeugender Form beantwortet, indem die Vielgestaltigkeit der Modelle, Kulte und der die Verehrung tragenden Gruppen herausgearbeitet wird: Starre Konzepte wie beispielsweise die Unterscheidung zwischen lokalen, regionalen und nationalen Identitäten werden zu Recht relativiert, denn lediglich die Bestimmung des Verehrungsorts oder die Gruppierung mit anderen Heiligen lässt noch keine Rückschlüsse auf territorial bezogene Identitäten zu, auch wenn sich im Untersuchungszeitraum der Norden Englands gegenüber Schottland und dem englischen Kernraum südlich des Flusses Trent immer stärker formierte. Die Aufsätze belegen vielmehr, dass im Spät-MA kein übergreifendes Konzept einer nordenglischen Heiligkeit existierte, sondern dass die Heiligenverehrung zumeist entlang von ‘clusters’ und ‘networks’ gefördert wurde.
Andreas Bihrer