New Perspectives on the ‘Civil Wars’ in Medieval Scandinavia, ed. by Hans Jacob Orning / Kim Esmark / Jón Viðar Sigurðsson (Comparative Perspectives on Medieval History 1) Turnhout 2024, Brepols, 446 S., ISBN 978-2-503-60150-2, EUR 125. – Die sogenannten Bürgerkriege des 12. und 13. Jh. sind ein klassisches Thema skandinavischer Geschichtsforschung und -schreibung, in Norwegen noch mehr als in Dänemark und Schweden (vgl. neuerdings etwa DA 70, 885; DA 77, 917; DA 78, 446; DA 79, 444). Der vorliegende Band macht es sich, wie schon der Titel verrät, zum Anliegen, neues Licht auf diese schon oft behandelten Vorgänge zu werfen. Wie die drei Hg. in ihrer Einleitung (S. 11–33) darlegen, erfolgt dies unter zwei Prämissen: Erstens handle es sich bei den auftretenden Parteiungen nicht um inhaltlich-programmatisch definierte Gruppen (etwa Vertreter einer zentralen Königsgewalt gegen adeligen Partikularismus u.ä.), sondern um konkurrierende personelle Netzwerke, und zweitens seien die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht isoliert zu betrachten, sondern einzubetten in Konflikte, die mehr oder weniger latent auch davor und danach vorhanden waren. Der erste Themenblock behandelt dann drei konkrete Fälle. Jón Viðar Sigurðsson (S. 41–95) setzt haarklein auseinander, welche Rolle personelle Netzwerke in den norwegischen Thronkämpfen der Jahre 1134–1163 spielten. Dass die beteiligten Personengruppen keine starren Blöcke waren, sondern sich im Lauf der Zeit veränderten, macht die Sache dabei recht kompliziert. Kim Esmark (S. 97–164) lenkt den Blick auf die politischen Spannungen, die in Dänemark auch vor, zwischen und nach den militärischen Auseinandersetzungen der Jahre 1128–1137 herrschten; warum die Gewalt ausgerechnet in diesen Jahren eskalierte, bleibt ihm zufolge letztlich unklar. Hans Jacob Orning (S. 165–212) sieht Norwegen in den Jahren 1202–1208 in einer Art „stabiler Krise“: Weil es Uneinigkeit auch innerhalb der streitenden Parteien gab, konnte keine je die Oberhand über die andere gewinnen, so dass die Gewalt zu einer Art strukturellem Dauerzustand wurde. Darüber hat er inzwischen ein ganzes Buch geschrieben (Constant Crisis: Deconstructing the Civil Wars in Norway, c. 1180–1220, 2024). Der zweite Themenblock vertieft diese Aspekte um „thematische Analysen“. Bjørn Poulsen (S. 217–264) untersucht unter dem Schlagwort „spatial practices“ den räumlichen Aspekt bei den Auseinandersetzungen. Schiffe waren die wichtigsten Transportmittel, weshalb nur derjenige das Land beherrschen konnte, der auch die Seewege kontrollierte. Städte waren, obwohl durchweg noch unbefestigt, umkämpfte Machtzentren, während Burgen erst später als militärische Stützpunkte errichtet wurden, in Dänemark früher und häufiger als in Norwegen. Lars Hermanson (S. 265–307) verweist auf die Rolle prominenter Frauen in der Politik des 12. Jh. Als Beispiele dienen ihm die schwedische Prinzessin Margarethe (genannt „Fredkulla“, † um 1130), die nacheinander mit einem norwegischen und einem dänischen König verheiratet war, sowie ihre Nichte Ingrid Ragnvaldsdotter († um 1170), die viermal verheiratet war, einmal davon mit einem norwegischen König. Beide Frauen nahmen großen politischen Einfluss in ihren jeweiligen Ländern und sorgten zudem dafür, dass nach dem Aussterben der schwedischen Königsdynastie, der sie angehört hatten, die folgenden Thronkämpfe zu einer gesamt-nordischen Angelegenheit wurden (siehe dazu auch die folgende Anzeige). Jenny Benham (S. 309–340) sieht allgemein in Reichsteilungen, besonders aber in der norwegischen von 1208 ein Element der Friedensstiftung. Der dritte Block öffnet sich zu Vergleichsbeispielen außerhalb Skandinaviens. Gerd Althoff (S. 345–369) fasst seine beiden Bücher über Verwandte, Freunde und Getreue (vgl. DA 50, 731) sowie Spielregeln der Politik im Mittelalter (vgl. DA 54, 767f.) auf Englisch zusammen und betont, dass das hier erkennbare System in Deutschland zur Stabilisierung des Reichs beigetragen habe. Stephen D. White (S. 371–412) zeigt im Hinblick auf die zahlreichen Rebellionen in England 1066–1217 anhand volkssprachlicher Quellen auf, dass die Rebellen bereits nach zeitgenössischer Anschauung nicht irgendwelche Störenfriede waren, sondern durchaus legitime Interessen verfolgten; wie jeder andere Krieg wurden solche Kämpfe deshalb als „guerre“ bezeichnet. Zu guter Letzt sieht Warren C. Brown (S. 413–427) in einem zusammenfassenden, assoziationsreichen Essay viele Gemeinsamkeiten mit den Verhältnissen im übrigen Europa. Nebenbei verweist er darauf, dass bellum civile bereits ein zeitgenössisches Konzept darstellt, das demnach (anders als die Hg. meinen) sehr wohl zum Verständnis der Vorgänge beitragen könne. – Ein kleines Postskriptum: Es mag daran liegen, dass der Kern des Bandes bereits 2017/18 erarbeitet und seitdem nicht gründlich genug aktualisiert wurde, jedenfalls ist die höchst einschlägige Diss. von Bente Opheim Brathetland, Nettverksmakt. Sosiale band og nettverk i dei norske innbyrdesstridane 1130–1208 (Bergen 2019, online zugänglich unter https://hdl.handle.net/1956/21141) nur in einem einzigen Beitrag und auch da nur sehr punktuell berücksichtigt.
Roman Deutinger