Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Welterbe des Mittelalters. 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau, Regensburg 2024, Schnell & Steiner, 592 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-3-7954-3874-6, EUR 45. – Wolfgang Zimmermann / Olaf Siart / Marvin Gedigk (Hg.), Die Klosterinsel Reichenau im Mittelalter. Geschichte – Kunst – Architektur, Regensburg 2024, Schnell & Steiner, 352 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-3-7954-3873-9, EUR 60. – Beide Veröffentlichungen entstanden anlässlich der vom Badischen Landesmuseum organisierten Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“, welche zwischen 20. April und 20. Oktober 2024 rund 120.000 Besucher nach Konstanz und auf die Insel Reichenau brachte. Die erstgenannte Publikation (A) ist als „Begleitband zur Ausstellung“ konzipiert und enthält neben 446 zumeist farbigen Abbildungen (etliche ganzseitig, daneben eine Vielzahl aufwendig ausgearbeiteter Landkarten) sowie insgesamt 49 Beschreibungen besonders herausragender Ausstellungsobjekte 27 Beiträge, die die facettenreiche Geschichte der Reichenau von der Klostergründung bis in die Zeit ihrer Auszeichnung als UNESCO-Welterbe im Jahr 2000 in den Blick nehmen und die dabei aufgespannten Themenfelder (wie „Rahmenbedingungen“, „Innere und äußere Entwicklung“, „Netzwerke“, „Schrift und Wissen“ oder „Nachwirkungen“) gleichermaßen umfassend wie kurzweilig zu vermitteln vermögen. Ergänzt und komplementiert wird A durch den zweiten Titel (B), einen mehr auf den Forschungsbetrieb ausgerichteten Tagungsband, der die Beiträge einer Fachsitzung (März 2023) zur Vorbereitung der Ausstellung vereint. In unserem Zusammenhang sei aus A speziell verwiesen auf: Michael Borgolte, Die Abtei Reichenau in der Globalgeschichte des Mittelalters. Eine zögernde Öffnung von der Insel zur Welt (S. 52–61), der die Außenkontakte und globalen Beziehungen der Reichenauer Klostergemeinschaft umreißt. – Marvin Gedigk, Der heilige Pirmin. Vater von hundert Klöstern? (S. 90–101), stellt die Klosterfamilie der sich auf Pirmin berufenden Mönchsgemeinschaften vor. – Thomas Zotz, Die Klosterinsel und Europa. Historische Entwicklung des Bodenseeklosters von 724 bis 1540 (S. 140–157), unternimmt eine konzise Gesamtschau der Reichenauer Geschichte von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters. – Peter Erhart, Verflechtungen und Verpflichtungen. Grundbesitz der alten Benediktinerklöster im Bistum Konstanz (S. 160–176), bietet einen Einblick in die wirtschaftlichen und besitzrechtlichen Grundlagen des Klosters. – Cornel Dora, Fischfang trifft Morchelzucht. Die Reichenau und das Kloster St. Gallen (S. 186–195), geht auf das Mit- und Gegeneinander in der Beziehung der beiden einflussreichsten Klöster des Bodenseeraums ein. – Gisela Muschiol, Gedenken und Verbrüderung. Europäische Netzwerkbildung der Lebenden und der Toten (S. 216–229), zeigt die „‘europäische’ Vernetzung“ (S. 227) der Klosterinsel anhand des Reichenauer Verbrüderungsbuchs auf. – Annika Stello, Ein Spiegel der Zeiten. Die Bibliothek des Klosters Reichenau (S. 440–451), fragt nach den Anfängen der Reichenauer Klosterbibliothek und zeichnet die Entwicklung ihrer Bestände bis zur Auflösung der Abtei nach. – Felix Heinzer, Antikes Kulturerbe auf der Klosterinsel. Zur Reichenauer Wissenskultur im Frühmittelalter (S. 454–467), zeigt Verbindungslinien zwischen den Anfängen des Reichenauer Schulbetriebs und der auf der Klosterinsel seit dem 9. Jh. nachweisbaren Rezeption der Institutiones Cassiodors auf. – Mit Blick auf B seien genannt: Steffen Patzold, Konkurrierende Erinnerungen. Die Gründung der Reichenau um das Jahr 724 (S. 18–35), der die erhaltenen Quellen zur Gründungsgeschichte der Reichenau überblickt und sich dafür ausspricht, die teils sehr heterogenen Darstellungen in ihrem je eigenen historischen Kontext zu betrachten, „in ihrer Vielfalt ernst zu nehmen“ (S. 31) und zugleich nach wissenschaftlichen Maßstäben zu bewerten, was an ihnen „denkbar und möglich und was unklar oder sogar unwahrscheinlich ist“ (S. 34). – Rutger Kramer / Carine van Rhijn, Das Mönchtum als Stützpfeiler der karolingischen Herrschaft (S. 36–45), verdeutlichen, dass es zu kurz greifen würde, karolingerzeitliche Klöster als isolierte, weltabgewandte Mönchsgemeinschaften zu begreifen; man habe sie vielmehr immer auch als Teil einer politischen Sphäre zu charakterisieren, innerhalb derer sie weitgespannte Netzwerke pflegten und aktiv in das Herrschaftsgefüge des Reichs eingebunden waren. – Régine Le Jan, Beziehungen und Politik. Das europäische Netzwerk des Klosters Reichenau nach seinem Liber Confraternitatum (Verbrüderungsbuch) (S. 58–71), steuert eine anschauliche Ergänzung und Vertiefung zu dem Beitrag von G. Muschiol über das Reichenauer Verbrüderungsbuch und dessen Wert für die Ermessung der überregionalen Beziehungen bei. – Immo Warntjes, Reichenauer Wissensnetzwerke im Spiegel zeitrechnerischer Schriften und Kodizes (S. 72–85), sucht anhand der komputistischen Schriften, die seit dem 9. Jh. auf der Reichenau rezipiert und produziert wurden, die Einbindung der Insel in den europaweiten Austausch von Wissen und Ideen zu ermessen. – Harald Derschka, Die geistliche Reform der Abtei Reichenau im Spätmittelalter (S. 290–299), legt plausibel dar, dass das von der älteren Forschung in unkritischer Anlehnung an Gallus Öhem (1445–1521) und die frühneuzeitliche Klosterchronistik gezeichnete Bild des Reichenauer Abts Friedrich von Wartenberg (1427–1473) als „idealer Reformer, dessen Anstrengungen nur deshalb keinen Bestand gehabt hätten, weil die Nachfolger nichts taugten“ (S. 297), schief ist, dass sich die geistliche Reform der Reichenau tatsächlich auf die Schultern mehrerer Äbte des 15. Jh. verteilte und nicht zuletzt auch von Friedrichs Nachfolgern vorangebracht wurde. – Felix Heinzer, Zwischen den Zeiten. Gallus Öhem (1445–1521) und seine Cronick des gotshuses Rychenowe (S. 300–311), stellt die Besonderheiten der Reichenauer Klostergeschichte des Gallus Öhem heraus und verweist auf eine bisher unbekannte Überlieferung der Chronik (Privatbesitz, vgl. https://handschriftencensus.de/26347), welche er als „vom Autor selbst korrigierte Vorstufe“ (S. 306) des auch der Edition Brandis zugrundeliegenden Widmungscodex für Abt Martin von Weißenburg (ca. 1505–1510) (Freiburg i. Br.; UB, Hs. 15) einordnet.
B. M.