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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Jenseits von Handel und Hochfinanz. Investitionen frühneuzeitlicher Kaufmannsdynastien im Vergleich. V. Neunhofer Dialog, hg. von Regina Dauser / Magnus Ulrich Ferber (Colloquia Augustana 38) Berlin / Boston 2023, De Gruyter Oldenbourg, VIII u. 183 S., Abb., ISBN 978-3-11-105989-1, EUR 69,95. – Begriffe leisteten einmal nötige Abstraktionsarbeit. Sie haben im Interesse von Vergleichbarkeit, Kommunikation und Interoperationabilität vereinfacht, ausgeblendet, fokussiert. Seit einigen Jahrzehnten nun kann man den – im Erstimpuls gerade bei empirischen Fächern, zu denen die Geschichtswissenschaft doch trotz allem zählt, oft verständlichen – Trend zur Öffnung der Begriffe hin zu einer breiten Verwendung und zum Einbezug möglichst vielfältiger Anwendungszonen beobachten. Das kann man als Verwässerung beweinen oder als Pluralisierung befürworten. Die Wahrheit wird wie so oft irgendwo dazwischen liegen. Jetzt jedenfalls beschert uns der vorliegende Band eine weitere Begriffsöffnung: einen „offenen Investitionsbegriff“. Und gleich vorweg: Das Ganze ist gar nicht so fürchterlich neu, dafür umso überzeugender. Auf nicht einmal 200 Seiten sind 15 Beiträge versammelt, die entsprechend sämtlich erfrischend knapp, meist weil sehr konzise in ihrer Argumentation, gehalten sind. Einige sind gar noch beachtlich quellenorientiert. Hier können natürlich nur die Beiträge zum MA summarisch erwähnt werden. Den Einstieg in den schlanken Tagungsband macht ein „Plädoyer“ der Hg. (S. 1–14) für den eingangs erwähnten „offenen Investitionsbegriff“, der Investition als strategischen Einsatz von Kapital, Zeit, oder Ressourcen versteht, mit dem nicht notwendig nur finanzieller Gewinn, sondern regelmäßig auch sozialer, kultureller oder symbolischer Mehrwert geschaffen werden soll. Stefan M. Lehm (S. 39–54) beleuchtet die Investitionsstrategien der Augsburger Paumgartner, die Gewinne aus dem Montanwesen bewusst in Grundbesitz umwandelten, um ökonomische Resilienz und soziale Anerkennung zu sichern. L. zeigt, dass die Paumgartner durch diese Diversifizierung wirtschaftliche Schwankungen abfedern und ihren sozialen Status nachhaltig festigen konnten. Stefano Rocchi (S. 73–87) widmet sich der Beziehung zwischen Mariangelo Accursio und Anton Fugger und zeigt, wie literarische und epigraphische Arbeiten als Mittel der Selbstdarstellung und symbolischen Aufwertung fungierten. Emanuel Lechenmayr (S. 125–142) betrachtet die Stiftungstätigkeit der Münchener Familie Astaler, die sich durch Investitionen in religiöse Kunstwerke in das soziale Gefüge der Stadt einfügte und ihren Status sicherte. Regina Dauser (S. 167–183) schließlich untersucht die Investitionen der Kaufmannsfamilie Hörmann zu Gutenberg in Grundherrschaften und Stiftungen und verdeutlicht, wie ökonomische Strategien und soziales Engagement miteinander verbunden waren. In ihrer Gesamtheit liefern die Beiträge triftige, meist angenehm konkrete und quellennahe Einsichten in die vielschichtigen strategischen Formen des Kapitaleinsatzes frühneuzeitlicher Kaufmannsfamilien, die weit über die Grenzen ökonomischer Pragmatik hinausgingen. Ob dafür der „offene“ Investitionsbegriff nötig war, kann dahingestellt bleiben. Denn in der Sache sind viele dieser Strategien ja bekannt. Aber er bietet fraglos eine günstige Linse, um ökonomisches Handeln überzeugend kulturgeschichtlich zu kontextualisieren. Und ganz davon abgesehen, bleibt immer die Qualität der Einzelstudien. Ein schlanker, aber – oder gerade auch deswegen – sehr lesenswerter Band.

Hiram Kümper