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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Anna Paulina Orłowska, Johan Pyre. Ein Kaufmann und sein Handelsbuch im spätmittelalterlichen Danzig. Darstellung und Edition (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte N. F. 77) Wien / Köln / Weimar 2022, Böhlau, 2 Bde. mit 448 u. 259 S., Abb., ISBN 978-3-412-51723-6, EUR 110. – Der Quellenwert der Kaufmannsbuchüberlieferung des Hanseraums ist seit Generationen unumstritten. Ebenso aber auch ihre Komplexität – von den paläographischen Herausforderungen bis hin zu den Hürden der inhaltlichen Auswertung, die viele im Detail hochdiversifizierte Größen zu klären hat: von Währungen, Gewichten und Maßeinheiten bis zur warenkundlichen Nomenklatur und den oft den Zeitgenossen zwar ganz selbstverständlich bekannten, aber gerade deshalb nirgends räsonierend erklärten Handelsbräuchen. Umso dankbarer kann man für jede (gute) Arbeit sein, die sich der Kärrnerarbeit einer Edition oder einer detaillierten Auswertung eines solchen Buchs unterzieht. Die vorliegende Kieler Diss. tut mit der Edition und Auswertung des Kaufmannsbuchs des Danzigers Johan Pyre beides. Und das auf vorbildliche Weise. Pyre, der vor allem mit Pelzen, Tuchen und Wachs handelte, war gut vernetzt nach Riga und Vilnius, zum Deutschen Orden, nach Flandern und England. Insbesondere das Rigaer Netzwerk hat die Vf. durch intensive Archivstudien vorbildlich aufgearbeitet. 35 Jahre lang führte Pyre sein Kaufmannsbuch, bis er 1455 verstarb. O.s zweibändiges Werk bietet eine saubere Edition der durchaus nicht einfachen Hs. (Danzig, Stadtarchiv, 300, R/F,4) sowie eine umfassende und kluge Auswertung des Inhalts. Beides wird durch umfangreiche Anhänge, insbesondere ein gerade für die häufig durchaus komplexen warenkundlichen Fragen hilfreiches Glossar, erschlossen. Im auswertenden Band werden zahlreiche Aspekte der im Kaufmannsbuch dokumentierten Handels- und Geldgeschäfte nicht nur zusammengefasst, sondern auch eingehend mit dem erreichten Forschungsstand der Hansegeschichte in Beziehung gesetzt, was Anschlussfähigkeit an größere Fragen herstellt und zugleich regelmäßig zu interessanten kritischen Schlaglichtern auf allzu lieb gewonnene Großnarrative führt. Klug und sachgerecht werden von O. in den letzten zehn Jahren neu etablierte Sichtweisen, insbesondere die von der Institutionenökonomik inspirierten, integriert. Das hier edierte Rechnungsbuch ist der Hanseforschung durchaus nicht unbekannt gewesen. Sein Autor ist allerdings in der bisherigen Forschung meist als Johann Pisz oder Piß bezeichnet worden. O. gelingt die korrekte Identifizierung – und dadurch auch, den Kaufmann in anderen Danziger Quellen etwas greifbarer zu machen als bisher. Aus der Fülle der Erkenntnisse, die diese Diss. bietet, sticht etwa der Befund heraus, dass Pyre ein unverheirateter Kaufmann ohne familiäre Bindungen in Danzig gewesen zu sein scheint, was der verbreiteten Annahme widerspricht, dass der hansische Handel primär auf Familienunternehmen beruht habe. Tatsächlich war Pyre – und das könnte natürlich auch mit diesem Umstand zu tun haben – in vielen Geschäften selbst aktiv und nicht als bloßer Kapitalgeber beteiligt.

Hiram Kümper