The Art of Publication from the Ninth to the Sixteenth Century, ed. by Samu Niskanen with the assistance of Valentina Rovere (Instrumenta Patristica et Mediaevalia 93) Turnhout 2023, Brepols, 416 S., Abb., ISBN 978-2-503-60296-7, EUR 80. – Im Oktober 2020 fand während der Pandemie ein online abgehaltenes, von der Univ. Helsinki organisiertes Kolloquium zum Thema „Authorial Publishing from the Carolingian Period to the Renaissance“ statt, dessen Vorträge (ergänzt um zwei weitere Beiträge von James Willoughby und Jakub Kujawiński) hier publiziert werden. Samu Niskanen, Introduction (S. 11–21), stellt zunächst Überlegungen zum Begriff der „Veröffentlichung“ von Werken im MA an, sieht in den Praefationes der Autoren sowie in der hsl. Überlieferung selbst die Hauptquellen für eine erfolgversprechende Auswertung und weist auf die neu aufgebaute Database for Medieval Publishing Networks (dmpn.helsinki.fi) hin, die künftig eine Erforschung von „Publikationsnetzwerken“ eines Autors auf breiterer Basis ermöglichen soll. – Jesse Keskiaho, Publications and Confidential Exchanges: Carolingian Treatises on the Soul (S. 23–45), versucht aus dem Text und der Überlieferung von insgesamt sechs (teils nur fragmentarisch erhaltenen) Traktaten zum Thema Rückschlüsse auf das intendierte Publikum der Werke und die Netzwerke ihrer Autoren zu ziehen, was angesichts der zum Teil äußerst geringen Zahl von erhaltenen Textzeugen ein schwieriges Unterfangen ist, das sich oft in Spekulationen erschöpfen muss. – Lauri Leinonen, Contextualizing the Publication of Dudo of Saint-Quentin’s Historia Normannorum (S. 47–82), kommt nach einer Untersuchung der Paratexte von Dudos Prosimetrum zu dem Schluss, dass die Wahl von dessen Widmungsträger auf die Disseminationsstrategie des Autors zurückzuführen ist, der sich von Bischof Adalbero von Laon eine Verbreitung bzw. Propagierung des Werks auch außerhalb der Normandie erhoffte, und vermutet hinter den erklärenden Rubriken zur Metrik der im Werk enthaltenen Verse einen didaktischen Zweck, welcher auch mit einer intendierten Verwendung der Historia Normannorum im Schulbetrieb zusammenhängen könnte. – Tuomas Heikkilä, Publishing a Saint. The Textual Tradition of the Life and Miracles of St Symeon of Trier (S. 83–130), erläutert zunächst die höchst komplizierte Überlieferungsgeschichte der breit überlieferten Vita et miracula s. Symeonis, die offenbar schon von Beginn an in unterschiedlichen Fassungen vorlagen und immer wieder durch weitere Wunderberichte ergänzt wurden, stellt zu Recht fest, dass nur die vollständige Untersuchung aller Textzeugen ein verlässliches Bild des Textes und seiner Geschichte ergeben kann, und plädiert angesichts der Komplexität und des Umfangs der Überlieferung dafür, bei einer solchen Untersuchung die traditionelle textkritische Methode mit einem digitalen Zugang zu kombinieren. – James Willoughby, The Chronicle of Ralph of Coggeshall. Publication and Censorship in Angevin England (S. 131–166), sieht in jener Hand, die den Löwenanteil der ältesten Überlieferung von Ralphs Chronicon Anglicanum in Cotton MS Vespasian D. X der British Library in London schrieb und auch zahlreiche Korrekturen durchführte, den Autor selbst und folgert daraus, dass die Umgestaltung des Textes insbesondere für eine die Jahre 1206–1212 betreffende Passage, deren ursprüngliche Gestalt der Vf. mithilfe einer bisher unbeachteten Epitome zumindest den Kapitelrubriken nach rekonstruieren kann, als ein Akt der Selbzensur des Autors anzusehen ist. – Jakub Kujawiński, Nicholas Trevet OP (c. 1258–after 1334) as Publishing Friar. Part I. Commentaries on the Authors of Classical and Christian Antiquity (S. 167–268), wertet die Praefationes und die hsl. Überlieferung der Kommentare des Dominikaners zu Boethius (De consolatione philosophiae), Seneca d. Ä., Seneca d. J. (Tragödien), Livius und Augustinus (De civitate Dei) in Hinsicht auf die frühe Verbreitung derselben und auf die dafür maßgeblichen Personen aus, sieht in Kardinal Niccolò da Prato eine Schlüsselfigur und in Avignon, Oxford sowie Ober- und Mittelitalien die wichtigsten Zentren der frühen Rezeption der Kommentare. – Luca Azzetta, Errors in Archetypes and Publication. Observations on the Tradition of Dante’s Works (S. 269–292), erläutert die Überlieferungsgeschichte der zwei von Dante unvollendet hinterlassenen Werke De vulgari eloquentia und Convivio sowie des in seiner Zuschreibung an den Florentiner umstrittenen Widmungsbriefs des Paradiso an Cangrande della Scala und tritt entschieden für die Authentizität des Briefs ein, indem er die zahlreichen Textkorruptelen, die in der Forschung häufig als Argument gegen eine Verfasserschaft Dantes gesehen werden, auf ein vom Autor noch nicht sauber ausgearbeitetes und mithin an vielen Stellen missverständliches Konzept des Briefs zurückführt, der letztlich nie abgeschickt worden sei, was sich auch am vollständigen Fehlen einer Überlieferung des Textes in Verona und dessen Umkreis zeige. – Marco Petoletti, The Art of Publishing One’s Own Work. Petrarch’s De vita solitaria (S. 293–310), schildert detailliert die komplizierte Genese des Werks und zeigt, wie das Kennenlernen neuer oder bis dahin nur unvollständig bekannter antiker Autoren immer wieder zu Überarbeitungen des Textes durch Petrarca führte. – Valentina Rovere, To Publish Post Mortem: Boccaccio’s Latin Works and Martino da Signa (S. 311–330), sieht die im Testament Boccaccios vom 28. August 1374 enthaltene Bestimmung, dass der Erbe von Boccaccios Büchern, Martino da Signa, jedem Interessierten die Bände zur Abschrift zur Verfügung stellen solle, als einen wesentlichen Faktor für die frühe Verbreitung von Boccaccios Werken an und rekonstruiert aus diversen Abschriften derselben einen Personenkreis, der für die betreffenden frühen Kopien der Autographa verantwortlich war. – Outi Merisalo, Publishing in Laurentian Florence. Jacopo di Poggio Bracciolini’s Edition of Poggio’s Historiae Florentini populi (S. 331–346), schildert anhand der hsl. Textzeugen und der ersten Drucke die Überlieferungsgeschichte der von Poggio unvollendet hinterlassenen und von seinem Sohn Jacopo überarbeiteten und vollendeten Florentiner Geschichte sowie von deren Volgare-Übersetzung durch denselben und zeigt, wie das ursprünglich als Gegenstück zur „offiziellen“ Florentiner Geschichte Leonardo Brunis konzipierte Werk durch seine enge Verbindung mit der italienischen Übersetzung Brunis von Donato Acciaiuoli bei der Drucklegung 1476 in Florenz auch nach 1478 eine gewisse Verbreitung finden konnte. – Giovanna Murano, History Rewritten. Francesco Guicciardini’s Storia d’Italia and Fiammetta Frescobaldi (S. 347–369), identifiziert als intendiertes Publikum der von Fiammetta Frescobaldi 1563 hergestellten, im Autograph in Florenz, Bibl. Nazionale Centrale, Conv. Soppr. B II 564, erhaltenen Kurzfassung von Guicciardinis Geschichte Italiens ihre Mitschwestern im Dominikanerinnenkloster von S. Jacopo di Ripoli in Florenz, da ihr als Frau und Nonne eine Drucklegung ihres Werks nicht möglich gewesen sei. – Jaakko Tahkokallio, Theories, Categories, Configurations. A Historian’s Point of View on the Study of Publishing in Manuscript (S. 371–381), betrachtet das Konzept von „Publishing“ aus theoretischem Blickwinkel und plädiert dafür, etwa die karolingische Reform oder den Investiturstreit in dieser Hinsicht intensiver zu untersuchen.
M. W.