Spotlights on Incunabula, ed. by Anette I. Hagan (Library of the Written Word 118 – The Handpress World 96) Leiden / Boston 2024, Brill, XIII u. 262 S., Abb., ISBN 978-90-04-68136-1, EUR 131,61. – Der Band vereint zehn von dreizehn Beiträgen (ein weiterer kam noch für den Druck hinzu), welche im Rahmen eines eintägigen Workshops präsentiert wurden, der im Oktober 2018 in der National Library of Scotland in Edinburgh unter dem Titel „Incunabula: People, Places, Products and Their Relationships“ anlässlich der abgeschlossenen Katalogisierung der Inkunabelsammlung der Bibliothek sowie des 550. Todestags Johannes Gutenbergs veranstaltet wurde (vgl. die Einleitung der Hg., S. 1–7). Laura Cooijmans-Keizer, Early Printing along the IJssel: Contextualising Deventer’s Success as a Centre of Incunabula Production (S. 11–30), gibt zunächst einen Überblick über die Buchdrucker und deren Produktion an der IJssel in der zweiten Hälfte des 15. Jh. und geht anschließend den Gründen für den enormen Erfolg der Inkunabeln aus Deventer nach, die sie vor allem in der politischen Stabilität der Stadt, deren wirtschaftlicher Prosperität und dem vorteilhaften kulturellen Klima (Devotio moderna und Nachfrage nach einschlägigen Texten) ausmacht. – Elma Brenner, Jacques Le Forestier, Thomas Le Forestier and Early Medical Printing in Rouen (S. 31–49), skizziert die Biographien des Buchhändlers und Druckers Jacques Le Forestier und seines wohl nicht mit ihm verwandten Namensvetters Thomas, eines Arztes, und sieht das Motiv für den (für die Offizin Jacques’ eher ungewöhnlichen) Druck der französischen Fassung eines Pest-Regimens (Rouen 1495) des Arztes in gemeinsamen Interessen der beiden, die auf Seiten des Druckers in kommerziellen Überlegungen bestanden, auf Seiten des Arztes in der Mehrung seiner Reputation. – Ester Camilla Peric, The Quaderneto of Padua: A 1480 List of Incunabula for Sale (S. 50–76), wertet die im Archivio di Stato di Venezia (Miscellanea di carte non appartenenti ad alcun archivio, b. 21) liegende, schon seit längerem bekannte, aber nie detailliert untersuchte oder kritisch edierte Geschäftsvereinbarung von 1480 aus, in der Domenico Giglio für den Buch- und Papierhändler Antonio Moretto in Kommission den Verkauf von Inkunabeln in Padua übernimmt, und stellt im Vergleich mit dem Zornale von Francesco de Madiis Überlegungen zum teils sehr unterschiedlichen Preis der Bücher in diesen beiden Quellen an. – Andrea Vilcsek, Hungarian Bookbindings of the Incunabula Period (S. 79–102), verfolgt die Entwicklung der ungarischen Buchbindekunst in Hinsicht auf Schmuck und Buchbindetechnik von ihren Anfängen im gotischen Stil in monastischen Werkstätten über das Eindringen von Renaissance-Einflüssen in den 1470er Jahren bis zu den Renaissance-Einbänden der Corviniana und den in Buda in der ersten Hälfte des 16. Jh. hergestellten einfacheren Blindstempeleinbänden, wobei auch immer wieder auf Einflüsse von außen (Wien, Florenz etc.) aufmerksam gemacht wird. – Sheila Hingley, Bindings and Provenance: Evidence from Contemporary Oxford Bindings on the Early Printed Books of the Last Monks of Durham (S. 103–121), stellt jene 18 Bücher unter den insgesamt 90 mit zeitgenössischen Einbänden versehenen Bänden aus der späteren Cathedral Priory von Durham vor der Reformation zusammen, welche Einbände von Oxforder Buchbindern tragen, versucht den Zeitpunkt zu eruieren, zu welchem sie in die Bibliothek in Durham gelangten, und geht mit Hilfe der enthaltenen Benützerspuren ihren Vorbesitzern nach. – Jane Pirie, ‘An Imperfect Copy’: Avicenna’s Canon de medicinae in the University of Aberdeen (S. 122–139), rekonstruiert (ungeachtet des fragwürdigen Titels ihres Beitrags in recht ansprechender Weise) die Herkunft dieser 1914 der Univ.-Bibl. Aberdeen geschenkten, verstümmelten Inkunabel (AUL Inc 5) aus der Straßburger Offizin von Johannes Rusch (1473/77) und zeigt anhand des Buchschmucks, der sehr bald nach der Drucklegung in einer in Westminster tätigen Werkstatt angefertigt worden sein dürfte, wie schnell zu dieser Zeit auf dem Kontinent gedruckte Bücher nach England gelangen konnten. – Sarah Cusk, Incunabula from a Sixteenth-Century Donation to Lincoln College, Oxford: Reconstructing a Private Library and Its Afterlife (S. 143–163), rekonstruiert anhand von hsl. Schenkungsvermerken die mindestens 16 Bände umfassende Bücherschenkung von Edmund Audley (Erzbischof von Rochester, ab 1492 von Hereford, ab 1502 von Salisbury) an das Lincoln College in Oxford, kann u. a. anhand der Einbände und des Buchschmucks der Inkunabeln zeigen, dass Audley manche der auf dem Kontinent gedruckten Bücher erst in England ausstatten und/oder binden ließ, andere aber schon mit kontinentalem Buchschmuck nach England gelangten, und gibt wichtige Hinweise auf spätere Benützer von Audleys Büchern. – Elizabeth Henderson, The Place of Incunabula in Early Modern Scottish Libraries (S. 164–193), untersucht die Büchersammlungen von sechs schottischen Buchbesitzern des 16. und 17. Jh. (Clement Litill, Thomas Reid, William Drummond of Hawthornden, William Guild, Mungo Murray, John Wedderborn) insbesondere in Hinblick auf die darin enthaltenen Inkunabeln und deren Vorbesitzer und die Frage, ob die Inkunabeln schon damals aus buchhistorischem Interesse bzw. aufgrund ihres Alters angekauft wurden. – Karen Attar, Augustus De Morgan’s Incunabula (S. 194–211), weist auf die Büchersammlung des bekannten englischen Mathematikers (1805–1871) hin, die nach seinem Tod in die Bibliothek der Univ. of London gelangte und auch 22 Inkunabeln mit mathematischen und astronomischen Werken enthielt, untersucht die Randanmerkungen De Morgans in diesen Bänden und informiert über die auf mathematische Werke (und auch Inkunabeln) spezialisierten Buchhändler im London des 19. Jh. – Sian Prosser, An Astronomer’s Incunabula: The Library of Edmond Herbert Grove-Hills (S. 212–227), skizziert zunächst die Biographie des Absolventen der Royal Military Academy und dessen geodätische und astronomische Interessen, die im Aufbau der mehr als 500 Bände (darunter auch 37 Inkunabeln) umfassenden „Bibliotheca Astronomica“ resultierten, die Grove-Hills 1922 der Royal Astronomical Society hinterließ, verfolgt deren Genese und sieht im Vergleich mit anderen einschlägigen Sammlern der Zeit Grove-Hills aufgrund der Konzentration auf tatsächlich astronomische Texte im engeren Sinn als den bedeutendsten Büchersammler unter ihnen an. – Robert L. Betteridge, The National Library of Scotland’s Acquisitions of Incunabula during World War II (S. 228–242), verfolgt detailliert die Ankaufspolitik von William Beattie, dem Keeper of Printed Books an der schottischen Nationalbibliothek, während des Zweiten Weltkriegs und führt die überdurchschnittlich große Anzahl seiner Erwerbungen von Inkunabeln darauf zurück, dass er einerseits durch die 1926 eingerichtete Stiftung aus Geldern von William Robert und Margaret Reid (Reid Fund) über gesicherte Ankaufsmittel verfügte, andererseits die Konkurrenz anderer Bibliotheken beim Ankauf im Rahmen von Auktionen etc. durch den Zweiten Weltkrieg beschränkt war.
M. W.