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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Festivities, Ceremonies, and Rituals in the Lands of the Bohemian Crown in the Late Middle Ages, ed. by František Šmahel / Martin Nodl / Václav Žůrek (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 82) Leiden / Boston 2022, Brill, XI u. 411 S., Abb., Tab., ISBN 978-90-04-51400-3, EUR 201,16. – Ein Band zu Ritualen, Zeremonien und Festlichkeiten im spätma. Böhmen könnte aus der Zeit gefallen oder doch zumindest verspätet wirken, hat man nur den entsprechenden Forschungsdiskurs der deutschen Mediävistik von den ausgehenden 1990ern bis in die Mitte der 2010er Jahre vor Augen. Doch mit einem solchen Vorurteil im Kopf tut man diesem Buch Unrecht. Wahr ist, dass das Werk die englische Übersetzung eines erstmals 2014 auf Tschechisch erschienenen Bandes unter der Ägide von N. sowie dem Altmeister der tschechischen Mediävistik Š. ist (vgl. DA 71, 874f.), denen sich für die englische Ausgabe der einschlägig ausgewiesene Ž. hinzugesellte. Es dokumentiert also die sowohl rezipierende wie eigenständige Beschäftigung der tschechischen MA-Forschung mit dem ‘ritual turn’. Bemerkenswert ist der systematische Ansatz, mit dem sich die Beiträger verschiedene Rituale und Zeremonien vornehmen und dabei keineswegs nur die Führungsschichten in den Blick nehmen, obwohl Herrscher durchaus die Beiträge zu Krönung (Ž., S. 9–52), Begräbnissen (Š., S. 100–170) und Hochzeiten (N., S. 53–99) dominieren. Doch auch religiöse Zeremonien böhmisch-mährischer Stadtbürger (Tomáš Borovský, S. 310–348), Rituale hoher Kirchenfürsten und päpstlicher Legaten (Antonín Kalous, S. 258–309) sowie des böhmischen Adels als Ausprägung überregionalen Rittertums (Robert Šimůnek, S. 218–257) werden thematisiert. Dem methodischen Bohemo- oder gar Pragozentrismus – einer Versuchung, die in der Quellenüberlieferung angelegt ist – entzieht sich der Band durch den Blick auf symbolische Kommunikation in Schlesien als dem wichtigsten „Nebenland“ der böhmischen Krone (Martin Čapský, S. 171–217), wobei es um die Beziehungen zu Böhmen geht, aber auch um „innerschlesische“ Zeremonien; Mähren kommt nicht nur, aber am ausführlichsten im bereits erwähnten Beitrag Borovskýs zum Tragen. Die Ergebnisse sind vielfältig: Während für Krönungen der fundamentale Einfluss karolinischer Ritualinnovation festzuhalten bleibt, waren die performativen Elemente von Hochzeiten weniger reguliert und dabei stark weltlich geprägt. Begräbnisse böhmischer Herrscher werden von Š. in Ausweitung früherer Forschungen auch als Ereignisse betrachtet, die außerhalb Böhmens stattfinden konnten und zudem von französischen wie polnischen Einflüssen geprägt wurden. Der Fokus auf Rituale der Bürgerschaft ist nicht notwendigerweise ein Schwerpunkt auf spezifisch bürgerlichen Ritualen, sondern auf der Rolle der Bürgerschaft im zeremoniellen Geschehen religiöser Feste oder Herrschereinzüge. Innovativ ist der Ansatz, auch Rebellionen in spätma. Städten der Untersuchungsregion als invertierte Festlichkeiten zu betrachten. Das Buch fügt sich in dieser Struktur kongenial in weitere anglophone Studien zur Ritualität von Politik und zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für Polen (Z. Dalewski, 2008) und Ungarn (D. Zupka, 2016). Dies ermöglicht im Prinzip, spezifisch ostmitteleuropäische Konturen von Ritualität und symbolischer Kommunikation herauszuarbeiten, was die Hg. jedoch nicht umsetzen, obwohl sie dazu mehr als nur ausgewiesen wären. Negativ schlägt zu Buche, dass Literatur nach 2014 nicht systematisch, sondern nur punktuell in die Beiträge eingearbeitet wurde. Wer jedoch mit den Einzelpublikationen der Vf. vertraut ist, wird zu schätzen wissen, wie sie ihre Kompetenz zu den jeweiligen Themen in diese umfangreichen Texte zu bündeln wissen, und somit ist nicht nur die Übersetzung ins Englische als Mehrwert des Bandes festzustellen, sondern auch die inhaltliche Zuspitzung und Systematisierung der Spezialforschung.

Martin Bauch