J. F. Böhmer, Regesta Imperii, hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Regesta Imperii, und der Deutschen Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, I. Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918 (987), Bd. 4: Papstregesten 800–911, Teil 1: 800 (795)–844, erarbeitet von Veronika Unger, Wien / Köln 2023, Böhlau, XXVII u. 343 S., ISBN 978-3-412-52954-3, EUR 65. – Nachdem sie bereits für Reg. Imp. 1,4,3 verantwortlich gezeichnet hat (vgl. DA 71, 657f.), legt U. nun einen weiteren – den vorletzten – Teilband der Papstregesten für die Jahre 800–911 vor (zu Klaus Herbers’ Reg. Imp. 1,4,2,1–3 vgl. DA 56, 638f.; 69, 191f. und 79, 705–707). In den behandelten Zeitraum, dessen Beginn sie vernünftigerweise um fünf Jahre vor die Jahrhundertwende bis zum Pontifikatsbeginn Leos III. vorverlegt (dazu vgl. S. V), fallen weiters die Amtszeiten Stephans IV., Paschalis’ I., Eugens II., Valentins sowie Gregors IV. und, neben der Kaiserkrönung Karls d. Gr. (Nr. 158), so berühmte Stücke wie das Pactum Hludowicianum von 817 (Nr. 463) oder die Constitutio Romana von 824 (Nr. 544); aus der Historiographie einschlägig wäre etwa die päpstliche Intervention auf dem Rotfeld bei Colmar im Jahr 833 (Nr. 643–647), aus der Warte der Konziliengeschichte die römische, aber von fränkischen Berührungspunkten geprägte Synode Eugens II. von 826 (Nr. 557). Insgesamt verteilen sich die 722 Einträge, die „so gut wie keine neu entdeckten Quellen“ zu berücksichtigen haben (S. VI), aber einen beträchtlichen Anteil von Fälschungen enthalten (laut S. VIII ca. ein Drittel bei den Papstbriefen und ca. drei Viertel bei den Urkunden), sehr ungleich über die sechs Pontifikate: Die wohl nur ca. einen Monat währende Amtszeit Valentins kann U. – beginnend mit der im 9. Jh. sonst nicht bezeugten Proklamation als Kandidat im Vorfeld der Wahl (Nr. 561) bis zu Tod und Beisetzung (Nr. 566) – auf einer Doppelseite abbilden, wobei sie den S. VI formulierten Anspruch, diese „wenig belichtete“ Episode „auf dem aktuellen Forschungsstand zu erschließen“, mehr als einlöst. Größeren Raum nehmen insbesondere die Regesten zu Leo III. und Gregor IV. ein, was an deren Sedenzzeiten liegt, aber auch damit zu tun hat, dass beider Viten zu den umfangreichsten im Liber pontificalis zählen, aus dem sich laut Vf. ca. die Hälfte der Einträge „ausschließlich oder teilweise“ speist (S. VI). Nicht zuletzt dem lokalen Fokus dieser Hauptquelle und ihren dominierenden Erzählmustern mag es geschuldet sein, dass thematisch die stadtrömische Bau- und Stiftungstätigkeit prominent hervortritt (und Anlass zu spezifischen Sortierungsprinzipien gibt, vgl. S. VII und XV). U. kann aber überzeugend konstatieren, dass die päpstlichen „Handlungsfelder und Interaktionspartner“ – die in bewährter Manier (vgl. DA 71, 658 zu dem ähnlich betitelten Abschnitt in Reg. Imp. 1,4,3) in einem eigenen Einleitungskapitel behandelt sind – am Anfang des 9. Jh. auch unabhängig von überlieferungsbedingten Einschätzungsschwierigkeiten (dazu vgl. S. XIII) überschaubar waren, „trotz der aufkommenden Konfliktfelder Bilderverehrung und Gebrauch des filioque … kaum Briefkontakte und Gesandtenaustausch mit den byzantinischen Kaisern und Patriarchen von Konstantinopel belegt“ sind (S. XIV) und demgegenüber etwa die Kontakte nach England Beachtung verdienen (vgl. ebd.). Jenseits, oder gerade im Profil des karolingisch-päpstlichen Bündnisses mit seinen cis- und transalpinen Etappen zeichnet sich die cathedra Petri im vorliegenden Band als das ab, was sie bei allen apostolisch-universalen Ansprüchen eben zunächst und auch um das Jahr 800 noch war: der Sitz des Bischofs von Rom. In diesem Sinn zeichnet die Regestenzusammenstellung ein aussagekräftiges Bild auch durch das, was in ihr nicht vorkommt – etwa eine päpstliche Beteiligung an der Aachener Kaiserkrönung Ludwigs d. Fr. von 813 (vgl. lediglich die Affirmationskrönung in Reims im Jahr 816: Nr. 426) oder eine Einbeziehung des Papstes in die fränkische Reforminitiative von 829 (vgl. in Nr. 599 die von U. treffend eingeordnete Teilnahme eines römischen Legaten an der im Nachgang veranstalteten Reichsversammlung von Worms). Die Präsentation der Regesten folgt den etablierten Richtlinien der Reihe. Wo U. Modifikationen z.B. im Hinblick auf die Anordnung für nötig befunden hat, sind sie – wie im Fall der oben angedeuteten so auch bei einer Ausnahmeregelung zum Umgang mit Näherungsdatierungen (vgl. S. XV) – schlüssig begründet und ganz im Sinn einer komfortablen Benutzung. Vor allem aber ist ihrer Anregung Resonanz zu wünschen, den bisher zur Markierung unsicherer Regesten genutzten Zeichensatz zu verfeinern, um den unterschiedlichen Gründen für überlieferungskritische Skepsis distinkt Rechnung tragen zu können und gleichzeitig den Aspekt der Nachwirkung im Blick zu behalten: Auch wenn sich die (konkret etwa durch die beiden Reisen Leos III. lokal genährte) Erinnerung an nordalpine Präsenz und Bedeutung eines Papstes vielfach in Falsifikationen manifestierte, wäre ein modernes Regestenwerk ohne Berücksichtigung solcher Stücke bzw. der besagten Bedeutungsfacette tatsächlich „unvollständig“ (S. XVI). Für das von U. im vorliegenden Band ad hoc angewandte Auszeichnungsverfahren würden sich gemäß ihrer eigenen Anregung vermutlich Alternativen finden lassen. Was umgekehrt die beibehaltenen Konventionen anbelangt, ist der Rez. nicht zur Gänze überzeugt von dem Prinzip, die hsl. Überlieferung nur für urkundliche und briefliche Quellen zu verzeichnen (vgl. richtungsweisend Reg. Imp. 1,4,2,1 S. XII); der überschaubare Umfang des Hss.-Registers erklärt sich aus der Reihenkonformität freilich vollkommen. Unter den in ihrem Spektrum wohlbewährten Verzeichnissen ist als besonders verdienstvoll das der kanonistischen Überlieferung hervorzuheben. Hier und dort begegnende Nachlässigkeiten im Lektorat (Interpunktions- und Orthographieversehen, etwa „Papt“ am Beginn von Nr. †160; „Thomas von Ebendorfer“ in Nr. 566; irritierende Reihenfolge der Registereinträge „S. Marcello – S. Maria – … – S. Marcello“ auf S. 338f.) schmälern den Wert des Bandes in keiner Weise. Vielmehr ist nicht nur dem Abschluss der Papstregesten 800–911 durch den ausstehenden Teil 1,4,4 entgegenzusehen, sondern insbesondere dem Band zum 8. Jh. (731–795), den man laut http://www.regesta-imperii.de/unternehmen/abteilungen/i-karolinger.html wiederum von U. verantwortet wissen darf.
A. Ö.