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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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François Bougard, Justice, culture juridique, pratiques documentaires durant le haut Moyen Âge (VIe–IXe siècle) Spoleto 2024, Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, XXI u. 587 S., ISBN 978-88-6809-419-5, EUR 60. – Mit aufrichtiger Dankbarkeit begrüßen wir das Erscheinen dieses gewichtigen Bandes, der 19 Aufsätze versammelt, die B. zwischen 1997 und 2024 veröffentlicht hat und die sich den zentralen Themen der Justiz (insbesondere der Strafjustiz), der Prozessordnung, der Rechtskultur und der Urkundenpraxis im Früh-MA (d.h. bis zum 11. Jh.) widmen. B. ist sicherlich einer der größten Kenner dieser Themen und hat auch nach seinen wichtigen Studien von 1995 (vgl. DA 52, 310) und 2022 (vgl. DA 80, 827f.) nie aufgehört, die überlieferten Dokumente zu untersuchen. Auch wenn noch immer die italienische Halbinsel das am besten bearbeitete Gebiet ist, dasjenige, dessen Merkmale (in Kontinuität oder Diskontinuität mit der Vergangenheit) mit größter Intensität analysiert werden (auch aufgrund der Fülle der Quellen), sind die erzielten Ergebnisse dennoch leicht übertragbar, um auch (wenn auch nur im Kontrast) andere Teile des europäischen Kontinents zu verstehen: Szenarien, in denen die italienischen Regionen oft nur einen kleinen Vorsprung zu haben scheinen. Viele der hier wiederveröffentlichten Aufsätze waren bereits weithin bekannt und geschätzt. Einige davon können sicherlich als methodische Beispiele für angehende Wissenschaftler dienen. Um nur einige zu nennen, können wir auf den jüngsten Essay (aus dem Jahr 2024) verweisen, der die Reihe eröffnet (Culpabilis iudicetur ..., S. 3–49), oder auf ein Werk aus dem Jahr 2013, das sich ebenfalls mit der Verfolgung von Verbrechen befasst (Le feu de la justice et le feu de l’épreuve, IVe–XIIe siècle, S. 85–128), oder jene von 2020 und 2001, die sich beide mit Verfahrensproblemen befassen (Témoigner en justice à Plaisance au IXe–Xe siècles. Autour d’un breve inédit, S. 175–185, und La relique au procès: autour des Miracles de saint Colomban, S. 205–231), oder jene, die den Notaires d’élite (2009, S. 291–313) und dem Capitulare Langobardicum (2022, S. 315–336) gewidmet sind, bis hin zu jenem, das sich auf bewundernswerte Weise mit dem Tauschgeschäft befasst (Commutatio, cambium, viganeum, vicariatio: L’échange dans l’Italie des VIIIe–XIe siècles, 2013, S. 487–523). Es ist nicht möglich, hier auf die unzähligen Gedanken einzugehen, die sie enthalten und die so viele originelle Momente des Fortschritts unseres Wissens darstellen (die mühsame Herausbildung einer originellen Vision von der Öffentlichkeit der Strafe, das komplexe System der Beweisführung, das durch die Überwindung der Schwierigkeiten inspiriert wurde, die eine äußerst vielfältige soziale Realität bot, das Gewicht der biblischen Rechtstradition neben der römischen, die Bedeutung der Schrift und die Entstehung eines spezialisierten Notariats ...). Es ist zweifellos ein großer Vorteil für die Wissenschaft, alle diese Aufsätze in einem Band gesammelt zu haben (und sicherlich von großem Nutzen ist das Quellenverzeichnis am Ende des Bandes). Noch wichtiger ist es jedoch, zu betonen, dass die Möglichkeit, sie nacheinander zu lesen, ein besseres Verständnis dafür ermöglicht, dass sie auf einem konsequent verfolgten Weg entstanden sind, der mit unveränderter Methode und intellektueller Offenheit gegangen wurde. Ein Forschungsweg, den B. seit vielen Jahrzehnten verfolgt und der uns – jenseits einzelner Punkte, über die man sicherlich streiten kann – die Komplexität, den Reichtum und die große Faszination der frühma. Rechtswelt zeigt.

Luca Loschiavo