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Ferdinand Opll, Die Stadt sehen. Frühe Stadtdarstellungen von Wien in ihrem thematischen und internationalen Kontext, Wien 2023, Böhlau Verlag, 530 S., 95 farb. Abb., ISBN 978-3-205-21607-0, EUR 65. – In der imposanten Liste von Publikationen, die O., langjähriger Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs, zur Stadtgeschichte veröffentlicht hat, nimmt das Bild als Quelle, die visuelle Repräsentation der Stadt, ihrer Bauwerke und der sie umgebenden Landschaft, eine prominente Stellung ein. Einschlägig sind u.a. ein Bildband zu Wien im Bild historischer Karten bis in die Mitte des 19. Jh. (1983, 2. erw. Aufl. 2004) und ein zusammen mit Martin Stürzlinger erstelltes Verzeichnis von Wiener Ansichten und Plänen bis 1609 (2013). Letzteres bildet den Ausgangspunkt seiner neuen Monographie, deren Ziel es ist, die Entwicklung der Stadtdarstellungen der österreichischen Metropole vom Spät-MA bis in die frühe Neuzeit nicht nur in sich selbst nachzuzeichnen, sondern komparatistisch auch in der allgemeinen Entwicklung von Stadtdarstellungen in anderen europäischen Kulturräumen, allen voran in Italien, aber auch in Frankreich oder den Niederlanden, zu verankern. Nicht zuletzt wird dabei eine Wechselwirkung mit der jüngeren internationalen Forschung zu Bild und Wahrnehmung der Stadt (Stichworte: „pictorial turn“, „spatial turn“, „kritische Kartographie“) angestrebt, die wichtige Ergebnisse hervorgebracht habe, welche nun am Beispiel Wiens nutzbar gemacht werden sollen, die in der „Nabelschau“ jedoch allzu oft auf „das jeweils Eigene“ (S. 10) fokussiert sei und daher Forschungen anderen lokalen, regionalen oder nationalen Zuschnitts zu wenig beachte. Die Darstellung ist dementsprechend zweigeteilt: Einem umfangreicheren allgemeinen Teil, der in vier thematischen Kapiteln grundlegende Gesichtspunkte historischer Stadtdarstellungen darlegt und durchaus als eigenständige Überblickspublikation dieses Gebiets hätte veröffentlicht werden können, folgt ein Kapitel zum eigentlichen Thema des Buchs, den Stadtdarstellungen Wiens. Der neutrale Überbegriff „Stadtdarstellung“ wird, wie in der Einleitung (S. 13–38) erläutert, verwendet, um die definitorischen Schwierigkeiten der zahlreichen, in verschiedenen Sprachen synchron wie diachron umlaufenden Begrifflichkeiten und Konzepte zu vermeiden, und umfasst, wie eine chronologische Liste mit über vierhundert Stadtdarstellungen von der Antike bis zum Anfang des 17. Jh. im Anhang (S. 351–442) eindrucksvoll belegt, von in Stein geritzten Bebauungsplänen (z.B. Plan Nippurs [2. Jahrtausend v. Chr.] oder die Forma urbis Romae [3. Jh. n. Chr.]) über Weltkarten mit Rom- und Jerusalemdarstellungen bis hin zu Hintergründen von Tafelgemälden und gedruckten Vogelschauansichten nahezu alle denkbaren Phänomene, in denen Städte in irgendeiner Form visuell repräsentiert werden. Das „Wie“ der Repräsentation ist auch der Gegenstand des ersten thematischen Kapitels (S. 39–92), wobei neben Materialien und Bearbeitungstechniken (auch hier sind jeweils nahezu alle denkbaren Phänomene vertreten) insbesondere intellektuelle und technische Voraussetzungen der „Künstlerhandwerker“ (S. 27), die die Darstellungen schufen, wie z.B. Vermessungstechnik, Verwendung eines Maßstabs, Perspektive, Entwicklung der Vogelschau, herausgearbeitet werden. Indem O. an das „Wie“ („Comment“) anschließend nach dem „Warum“ („Pourquoi“) und sodann nach dem Verhältnis von „Erkennbarkeit versus Realität“ („Verité ou fantaisie“) fragt, folgen die Gesichtspunkte, die in den ersten drei thematischen Kapiteln abgehandelt werden, strukturell einem Ansatz Pierre Lavedans, dessen grundlegende Monographie zu Stadtdarstellungen (Représentation des Villes dans l’Art du Moyen Âge) auf das Jahr 1954 zurückgeht. Entstehungsanlässe von Stadtdarstellungen (S. 93–147) sind äußerst vielgestaltig, lassen jedoch eine übergeordnete Tendenz hinsichtlich ihrer Lösung aus der religiösen Sphäre (z.B. in Darstellungen des Stadtpatrons oder auf Altarbildern mit Szenen der Heilsgeschichte) hin zur Verwendung im kommunalen Kontext (z.B. an öffentlichen Bauten oder in Darstellungen der Stadtgeschichte) und letztlich zur Autonomie der Darstellung (vor allem in den Städtebüchern des 16. Jh. von Sebastian Münster oder Georg Braun und Frans Hogenberg) erkennen. Wie ‘Realität’ bzw. Realismus der Darstellung historisch wahrgenommen wurde, ist natürlich nicht nachvollziehbar, doch konnte Erkennbarkeit und ein „wie auch immer gearteter ‘Realismus’“ (S. 176) auch auf anderen Wegen als den einem modernen Publikum realistisch erscheinenden, z.B. als „Realität der Einzelheiten“ („Realism of particulars“, S. 156) durch die verdichtete Abbildung markanter Bauwerke einer Stadt, angestrebt werden (S. 149–182). Das gegenüber Lavedans Grundstruktur ergänzte Kapitel zum sozialen Hintergrund der Anfertigung von Stadtdarstellungen (S. 183–250), zu Auftraggebern, Urhebern und Publikum ist neueren Forschungsansätzen geschuldet, wobei sich dieses Kapitel stärker als die vorhergehenden auf einzelne Fallbeispiele, wie z.B. die Schedelsche Weltchronik von 1493 oder Brauns und Hogenbergs Civitates orbis terrarum von 1572, konzentriert. Mit diesem breiten Überblickswissen im Rücken erfolgt der abschließende chronologisch-thematische Durchgang durch die Darstellungen Wiens (S. 251–349). Als Spezifika der österreichischen Metropole werden u.a. herausgearbeitet, dass dort mit dem Albertinischen Stadtplan von 1421/22, der im Umfeld der Wiener Universität mit ihrem mathematisch-astronomischen Interesse zu verorten sein dürfte, ein besonders frühes Exemplar eines Stadtplans, ja das früheste erhaltene nördlich der Alpen entstand. Gegenüber anderen Regionen (v.a. natürlich Italien) treten Stadtdarstellungen Wiens, die in der zweiten Hälfte des 15. Jh. vor allem auf Altarbildern begegnen, jedoch insgesamt eher verspätet auf, was in der zurückgenommenen Rolle der Bürgerschaft und der festen Einbindung der Stadt in die habsburgische Landesherrschaft begründet ist. Diese war an einer Repräsentation der Stadt zunächst wenig interessiert, was sich erst mit der ersten Türkenbelagerung von 1529 änderte, der die Stadt neben repräsentativen Darstellungen in der Folge auch zahlreiche städte- und festungsbauliche sowie administrative Pläne verdankt.

B. P.