DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Michael Borgolte, Königin in der Fremde. Frühmittelalterliche Heiratsmigration und die Anfänge der europäischen Bündnispolitik, Göttingen 2024, Wallstein Verlag, 472 S., 13 Abb., ISBN 978-3-8353-5679-5, EUR 38. – Bis in die Mitte des 11. Jh. hinein stellt der Vf. Fallanalysen über Frauen aus keltischen, germanischen, römischen und slawischen Herrscherfamilien zusammen, die auswärtige Ehen mit fremden königlichen oder kaiserlichen Herrschern eingingen, meistenteils als Verhandlungsobjekte politischer Bündnisse und des Öfteren auch als Teil der Kriegsbeute. Damit wird ein Raum von Skandinavien bis nach Nordafrika und Kleinasien sowie von Irland bis zur Kiever Rus’ erfasst. Die Fälle sind zwar durch Einzelforschungen bekannt, doch werden sie hier erstmals in einem Gesamtüberblick unter systematisierenden Kategorien geordnet. Die ersten drei Kapitel sind den Schicksalen der Individuen im Spannungsfeld von Selbstbestimmung, Widerstand und Anpassung gewidmet. Zwei weitere Kapitel thematisieren den Aktionsradius der auswärtigen Königinnen im Rahmen ihrer sozialen Netzwerke und diplomatischen Tätigkeiten. Deren Bedeutung für die politische Integration oder im Gegenteil Desintegration der Völkerschaften in Zentraleuropa und den europäischen Randländern gelten die letzten beiden Kapitel. Die Akribie der Recherchen spiegelt sich auch darin wider, dass Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis und Register fast die Hälfte des Buchs ausmachen. Der Vf. scheint anfangs den Umfang des politischen Zusammenwachsens in Europa durch die Heiratsmigration, die er als eine besondere Form der Einzelmigration klassifiziert, bis zum 11. Jh. relativ hoch einzuschätzen (S. 10), zieht allerdings in der Zusammenfassung ein eher verhalten klingendes Fazit (S. 243–246). Dort wird noch einmal betont, dass zwar durch Fremdbestimmung und Zwangsheiraten persönliches Leid erzeugt wurde, der Fokus der Untersuchung jedoch auf den glücklicheren Fällen „weiblicher Selbstbehauptungen in der Migration“ (S. 243) liegt. Dass diese Ehen allein wegen ihrer Dichte „einen herausragenden Faktor europäischer Integration“ (S. 10) bildeten, wird am Schluss nicht mehr angesprochen. Der Begriff „Heiratsmigration“ ist eine Reminiszenz an die gegenwärtige politische Migrationsdebatte; er ersetzt den bisherigen Begriff der „Ehebündnisse“. Gegen diese breitere, auch soziale und kulturelle Aspekte umfassende Begrifflichkeit ist nichts einzuwenden. Zu wünschen ist nach Auffassung der Rez. lediglich, dass eng verwandte Themen der Gegenwart anhand der Entwicklungsstufen vergangener europäischer Gesellschaften und Gemeinwesen wie z. B. Kinderheirat und Zwangsehen sowie Usancen des Eherechts stärker angesprochen würden. Wer sich an der Formulierung im Untertitel „die Anfänge der europäischen Bündnispolitik“ stören sollte, sei darauf hingewiesen, dass der Vf. im Text meist nicht vom Anfang, sondern von der „Genese der europäischen Diplomatie“ (S. 11) im Sinne von Entwicklung spricht. Wohl aber sieht er das Bündnissystem, das der Langobardenkönig Theoderich der Große von Italien aus schuf, als „Beginn der europäischen Diplomatiegeschichte“ (S. 129). Dies alles sind jedoch Petitessen, die gemessen an der immensen Zusammenschau der hier zusammengetragenen Fälle vernachlässigenswert sind. Die Studie bietet für die Fachwissenschaft ein sowohl anregendes als auch verlässliches Kompendium und für interessierte Laien eine gut lesbare Darstellung über einen spezifischen Aspekt vormoderner, frühma. Beziehungen in Diplomatie und Politik.

Brigitte Kasten