La dimensione spaziale della scrittura esposta in età medievale. Discipline a confronto. Atti del Convegno di studio Napoli, 14–16 dicembre 2020, a cura di Daniele Ferraiuolo (Quaderni delle „Inscriptiones Medii Aevi Italiae“ 1) Spoleto 2022, Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, XVIII u. 248 S., zahlreiche Abb. und Karten, ISBN 978-88-6809-336-5, EUR 54. – Der erste Band einer neu gegründeten, mit dem Editionsunternehmen der ma. Inschriften Italiens verbundenen Publikationsreihe versammelt die Beiträge einer von der Associazione San Bonaventura Onlus in Neapel organisierten Tagung, die der Kategorie des Raums als Grundbedingung der Herstellung, Wahrnehmung und Kommunikation der „scritture esposte“ im MA gewidmet war. Besonders hervorzuheben sind: Marco Sannazaro (S. 35–49) kontrastiert die dichtbelegte, klerikal dominierte Begräbniszone im vorgotischen Kathedralbezirk Mailands zwischen der Sommerkathedrale S. Tecla und dem Baptisterium S. Giovanni in Fonte, die ein privilegiertes Areal im kollektiven Prozessions- und Gebetsaufkommen der Metropole war, mit den Grablegen in der vor 846 erbauten Eigenkirche des karolingischen Gefolgsmanns Erembertus im ländlichen Leggiuno (Prov. Varese), der für seine familiäre Memoriastrategie Reliquien und Spolien aus Rom besorgte, um die konträren Raumkontexte zweier früher Grabinschriftenkomplexe der Lombardei in Zentrum und Peripherie einander gegenüberzustellen. Die drei Ebenen des „ausstellungsbezogenen“ (urbanistischer Kontext), des „intrinsischen“ (Materialität, Format, Disposition, Inhalt, Text) und des „evokativen“ (im Text aufgerufenen) Raums unterscheidet Chiara Lambert (S. 51–73) in ihrem Überblick über die herrscherlichen Bauinschriften der südlangobardischen Residenzstädte Salerno, Benevent und Capua, speziell die epigraphischen Carmina des Paulus Diaconus für die Bauprojekte des Arichis II. († 787) in Salerno. Daniele Ferraiuolo (S. 75–93) nimmt den unter Abt Desiderius (1058–1087) überbauten frühma. Mönchsfriedhof Montecassinos um die Kirche S. Martino in den Blick, dem etwa ein Drittel der rund 400 beim Nachkriegswiederaufbau der Abtei zu Tage getretenen Grabinschriften des späten 8.–11. Jh. zuzuweisen ist. Dank der 1946–1956 geführten Fundjournale des Cassineser Klosterhistoriographen Don Angelo Pantoni gelingen neue, perspektivenreiche Hypothesen zu den Beziehungen zwischen Formen der Bestattung, Formaten der Grabplatten und Formularen der Inschriften. Flavia De Rubeis (S. 95–113) beleuchtet die bereits in den Märtyrerinschriften des Papstes Damasus angelegte Allianz zwischen Epigraphik und Reliquienkult, die im Rom des 8. und 9. Jh. eine neue Konjunktur erlebte. In ihrem inschriftenpaläographischen Rundgang macht die Vf. nicht nur auf Rückgriffe der Karolingerzeit auf die damasianische Zierkapitalis aufmerksam, sie behandelt vor allem Inschriftengruppen um die Päpste Hadrian I., Leo III. und Paschalis I., dessen vieldiskutierter Reliquieninschrift in S. Prassede besonderes Augenmerk gilt. Roberto Farinelli (S. 139–149) stellt, leider ohne Transkription und Lageschema, die Diplomatik und Raumdisposition der 1117 datierten, ellenlangen Urkundeninschrift der südtoskanischen Reichsabtei Sant’Antimo (Prov. Siena) vor, die die Rechtsakte der vier zugrundeliegenden Diplome zur Übertragung der testamentarischen Güterschenkung eines Grafen Bernardus (wohl degli Ardengheschi) in monumentaler Form und in singulärer Weise zentriert im Hochaltarraum vergegenwärtigt. Giulia Anna Bianca Bordi / Silvia Calò / Paolo Fioretti (S. 151–187) arbeiten, unter Berücksichtigung der verwickelten Geschichte der Rekonstruktionen, Raum-, Material- und Textbezüge der Inschriften an den liturgischen Ausstattungsstücken des 12.–13. Jh. im Chor der Kathedrale von Bari heraus. Mit dem Bild-Text-Gefüge der Wandbilder in der Hauptapsis des unter Patriarch Poppo (1019–1042) neu errichteten Doms von Aquileia beschäftigt sich Marialuisa Bottazzi (S. 217–237), die den Bezügen zwischen der 1031 datierten Domweiheinschrift in der Apsis und dem in der Apsiskalotte um die zentrale Marienmajestas versammelten Heiligen- und Stifterpersonal nachgeht, darunter dem Bauherrn Poppo selbst und der Familie seines Protektors Kaiser Konrad II.
Albert Dietl