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Alan M. Stahl, The House of Condulmer. The Rise and Decline of a Venetian Family in the Century of the Black Death (The Middle Ages Series) Philadelphia 2024, Univ. of Pennsylvania Press 2024, X u. 212 S., Abb., ISBN 978-1-5128-2619-7. – Die ursprünglich aus Pavia stammenden Condulmer tauchten kurz vor 1200 zum ersten Mal in venezianischen Quellen auf. Sie gehörten zu den wohlhabenden cittadini, taten sich aber lange Zeit schwer damit, in den illustren Kreis des venezianischen Adels vorzustoßen, der rund 5 % der Bevölkerung ausmachte. St., als Numismatiker in Princeton tätig und ausgewiesen vor allem im Bereich der Finanzgeschichte Venedigs, skizziert den Aufstieg der Condulmer anhand einiger biographischer Portraits und legt so in sieben Kapiteln eine zeitlich auf das Jahrhundert nach der Pest von 1348 beschränkte Familiengeschichte vor. Die Arbeit beruht auf reichem Quellenmaterial aus dem Archivio di Stato in Venedig, vor allem auf denjenigen Dokumenten, die die Prokuratoren von San Marco in ihrer Funktion als Testamentsexekutoren hinterlassen haben. Die Condulmer engagierten sich im Handel zwischen Venedig und seinen östlichen Kolonien. Sozial, vor allem heiratspolitisch interagierte man mit den Adelsfamilien Venedigs. Zwei Familienzweige – die von S. Lucia und S. Tomà – profitierten vom Phänomen der Vermögenskonzentration nach den Verwüstungen der Pest. Zu ihnen gehörte Jacobello Condulmer, dem es gelang, den Aufstieg der Familie in die Liga der Adligen durch vielfältiges soziales Engagement zu ebnen. Sein guter Ruf und massive Geldzahlungen führten nach 1379, auf dem Höhepunkt des vierten Kriegs, den Venedig gegen Genua führte, zur Aufnahme in den Großen Rat. Nach seinem Tod 1381 wurde schnell klar, dass die Gelder, die seinen Aufstieg befördert hatten, nicht immer aus legalen Quellen stammten. Nicht nur seiner Schwester hatte er die ihr zustehenden jährlichen Zahlungen vorenthalten, sondern auch Vermögen, das seinem Neffen zustand, in seine eigenen Kassen umgeleitet. Der Finanzier und Geldwechsler Vielmo Condulmer, ein Cousin Jacobellos und eines der „best-documented members of the house of Condulmer and indeed of most contemporary Venetian cittadini“ (S. 47), war nicht adlig. Sein Habitus, seine sozialen Interaktionen und Handelsaktivitäten mit den mächtigsten und wohlhabendsten Adelsfamilien Venedigs ließen in seinem Fall jedoch die Grenzen, die falschen von echtem Adel trennten, verschwimmen. Zu Beginn des 15. Jh. waren es zwei Brüder, die den Familiennamen Condulmer in internationalem Rahmen zum Strahlen brachten: Simoneto zählte bis zu seinem Bankrott 1405 zu den führenden Bankiers der Stadt, Gabriele sollte seine Tage als Papst beschließen. Bemerkenswert: Beide waren illegitimer Geburt, und dem weiteren Renommé des Hauses Condulmer sollten die Aktivitäten beider Brüder nicht unbedingt förderlich sein. Besonders eindrücklich wird dies am Verhältnis Eugens IV. (1431–1447) zu seiner Heimatstadt gezeigt. Ursprünglich zunächst zusammen mit seinem Bruder in Handelsgeschäften engagiert, begann er gleichzeitig mit der Akkumulierung einträglicher Kommenden. Die Hinwendung zu einem ausschließlich geistlichen Leben erfolgte zeitgleich mit der Wahl des ersten Venezianers zum Papst im Jahr 1406. Gregor XII. (Angelo Correr) förderte Gabriele, der, 1407 zum Bischof von Siena und nur ein Jahr später zum Kardinal ernannt, nur noch einmal (1415) kurz in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren sollte. Die Rolle Gabrieles auf dem Konstanzer Konzil bleibt seltsam schemenhaft. Immerhin agierte er unter dem neuen Papst Martin V. als Legat in der Romagna und in den Marken. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf der Beförderung der wirtschaftlichen Interessen seiner eigenen Familie. 1431 wurde er als Kompromisskandidat zum Papst gewählt. Über die Register der deliberazioni des Senats und die Gesandteninstruktionen können die Verbindungen zwischen Eugen IV. und Venedig rekonstruiert und analysiert werden, die sich alles andere als konfliktfrei und harmonisch gestalteten. Besonderes Interesse gilt „Gabriele’s sexuality“ (S. 123–126). Der Vf. spekuliert, was Gabriele zum Eintritt in den geistlichen Stand veranlasst haben könnte. War es eine „genuine attraction to the religious life“? War es der „all-male context“ (S. 124) innerhalb der monastischen Welt Venedigs, der es ihm ermöglichte, den Erwartungen bezüglich von Heirat und der Einbettung in Familienbeziehungen zu entfliehen? Unbestritten ist, dass der Senat den Papst zu Beginn seines Pontifikats vor einem Skandal warnte und dabei auf die als unschicklich empfundene Verbindung mit dem jungen Pietro di Monza abzielte. Tatsächlich sollte Pietro seiner Ämter enthoben, bald jedoch durch einen anderen Favoriten, Alvise Trevisan, ersetzt werden. Deutlich wird insgesamt, wie schwierig es in Ermangelung „of a complete publication, or even a register, of his bulls and other pronouncements“ (S. 130) tatsächlich ist, zu belastbaren Schlussfolgerungen in der Bewertung des Verhältnisses zwischen Papst und Serenissima zu gelangen. Einige inhaltliche Lapsus stören den ansonsten positiven Gesamteindruck des durch einen Index der Orte, Namen und Sachen (S. 201–212) erschlossenen Werks kaum: Welchen Papst auch immer die Venezianer 1408 unterstützten, Gregor IX. († 1241) wird es wohl nicht gewesen sein (S. 1); Konstanz ist sicherlich keine „Swiss city“ (S. 105); und die Kirche, in der man Kardinal Francesco Condulmer in Rom gefangen hielt, war Santa Maria in Aracoeli (und nicht Santa Maria Oracieli, S. 117). Die dem Band beigegebenen Schwarz-weiß-Photographien im Kleinformat sind weder eine Augenweide noch besonders hilfreich. In den Archiven der Serenissima, in der noch immer vieles – wenn überhaupt – nur fragmentarisch durch Indices erschlossen ist, dürfte noch eine Fülle zusätzlichen Materials schlummern, dazu angetan, zukünftige Forschungen zur Familie der Condulmer (und vielen weiteren Familien) zu befördern.

Ralf Lützelschwab