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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,1 (2025) *.

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Pre-modern Towns at the Times of Catastrophes. East Central Europe in a Comparative Perspective, ed. by Michaela Antonín Malaníková / Beata Możejko / Martin Nodl (Eastern European Urban History) London / New York 2024, Routledge, XV u. 200 S., Abb., Karten, Tab., ISBN 978-1-032-34736-3 (hbk.), 978-1-032-34737-0 (pbk.). – Katastrophen in der vormodernen Stadt bilden schon seit der Jahrtausendwende ein wichtiges Thema sowohl der Stadt- als auch der Umweltgeschichtsforschung. Sammelbände, etwa Stadtzerstörung und Wiederaufbau, hg. von Martin Körner (1999) oder Naturkatastrophen, hg. von Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen (2003), und Monographien, z.B. von Kay Peter Jankrift (2003, vgl. DA 62, 457f.) oder Gerhard Fouquet / Gabriel Zeilinger, Katastrophen im Spätmittelalter (2011), haben dabei auch in methodischer Hinsicht wichtige Vorarbeiten geleistet, berücksichtigen aber allesamt die Städte Ostmitteleuropas nur am Rande. Der Sammelband fokussiert daher auf diesen Raum und beschäftigt sich vorrangig mit Beispielen zu Hochwassern, Stadtbränden und Epidemien, welche sich auf jeweils große Teile der städtischen Bevölkerung auswirkten. Wie die drei Hg. in ihrer Introduction (S. 1–9) betonen, stehen die Bewältigungsstrategien sowohl auf der Ebene städtischer Institutionen als auch individuell im Vordergrund (S. 1). Jitka Komendová, The destruction of the city in the interpretation of the 13th-century East Slavic letopises (S. 10–20), analysiert auf der Basis von Chroniken aus der ma. Rus’, wie Extremereignisse im 13. Jh. wahrgenommen wurden, u.a. als 1230 Kyiv von sehr schlechter Witterung, darauffolgendem Hunger, einem schweren Erdbeben und kosmischen Zeichen heimgesucht wurde. Demnach dominierten in den Quellen Gottesstrafen-Narrative mit apokalyptischem Grundton. – Piotr Oliński, On the beneficial effects of storms: Examples from Hanseatic towns (S. 21–31), beleuchtet einerseits die Schäden an Gebäuden, Hafenanlagen und Wäldern im südlichen und südöstlichen Ostseeraum, andererseits aber auch Umweltveränderungen mit positiven Effekten, etwa die bessere Schiffbarkeit des Hafens von Stralsund nach einem Sturmereignis 1304 oder der Bucht von Gdańsk nach 1497. – Martin Nodl, The Prague plague of 1380: Catastrophe and normality (S. 32–44), zeigt am Beispiel der Pestepidemie in Böhmen 1380, dass die Bevölkerung nach der Pestwelle 30 Jahre zuvor mit solchen Zuständen zu leben gelernt hatte und trotz hoher Opferzahlen das Alltagsleben weitgehend unverändert weitergeführt wurde. – Piotr Samól, The novel findings about the Hussite’s warfares in the Gdańsk/Danzig surrounding in the late summer of 1433 (S. 45–58), behandelt auf Basis bisher unbeachteten Archivmaterials (u.a. Steuerregister) die Auswirkungen der Hussitenkriege auf die rund 50 Dörfer in der Umgebung von Gdańsk, von denen 34 oder 35 in Brand gesetzt wurden. – Ebenfalls mit der Zeit der Hussitenkriege beschäftigt sich Jiří Doležel, Jakub Holub and his relatives: On the life and economic strategies of the burghers of the Brno urban region in the first half of the 15th century (S. 59–73). Am Beispiel des Brünner Bürgers Jakub Holub wird aufgezeigt, wie trotz der politisch unsicheren Lage erfolgreiche Gutsverwaltung möglich war. – Marcin Grulkowski, The 1442 fire of the Crane in the Main Town of Gdańsk: Legal and financial issues connected with maintaining fortifications in the great Prussian city in the late Middle Ages (S. 74–90), macht die ständige Feuergefahr in ma. Städten deutlich, konkret am Brand des mächtigen Krantors von Gdańsk im Jahr 1442. – Zur selben Stadt untersucht Beata Możejko, Did epidemics affect lives? The case of late medieval Gdańsk (Danzig) (S. 91–103), die Auswirkungen der schweren Pestepidemie von 1464, die schätzungsweise 19 % der Bevölkerung dahinraffte. – Am Beispiel der alten Stadtbücher von Warschau analysiert Piotr Łozowski, Death, fire, and debt: Impact on the society and economy of late medieval Warsaw (S. 104–119), die Auswirkungen von Epidemien, Bränden und wirtschaftlichen Krisen auf die städtische Wirtschaft (Besitzstrukturen, Kreditmarkt), auf Migrationstätigkeit und Machtstrukturen in der 2. Hälfte des 15. Jh. – Petr Kozák, A time of catastrophes and humiliations: Lower Silesian Głogów at the end of the Middle Ages (S. 120–133), geht den sozialen Konflikten 1488–1493 in der niederschlesischen Stadt Glogau zwischen der Stadtbevölkerung, lokalen Adeligen und Herzog Johann II. von Sagan und Glogau nach, die zu einem merklichen Verlust städtischer Eigenständigkeit führten. – Milan Georgievski, Catastrophe as opportunity: Fire of Banská Bystrica (Neusohl) on 10 April 1500 (S. 134–146), fokussiert auf die Konsequenzen des Stadtbrandes, der schließlich 1524 zu neuen Privilegien für die wichtige Bergwerksstadt führte. – Martin Musílek, Prague in flames: Fire and conflagrations in the Prague conurbation from the Middle Ages to the threshold of the Modern Era (S. 147–158), zeigt am Beispiel spätma. Brände in Prag (u.a. 1316), wie diese zur Entwicklung effizienterer Feuerverordnungen sowie neuer Bautätigkeit in der Stadt führten. – Hana Komárková, Natural disasters and crises in Silesian medieval chronicles (S. 159–170), stellt Informationen zu vornehmlich meteorologischen Extremereignissen des. 14./15. Jh. in den Annales Glogovienses, im Chronicon Ratiboriense sowie in Peter Eschenloers Geschichte der Stadt Breslau (1439–1479) zusammen. – Bohdana Petryshak, The fire of Lviv in 1527: A great loss or a great Renaissance? (S. 171–181), zeigt, wie der Stadtbrand auch zu einem gezielten Neuaufbau im Stil der Renaissance führte und der Bevölkerung Steuererleichterungen brachte. Der abschließende Beitrag weist ins späte 16. und frühe 17. Jh. Die allesamt quellenbasiert verfassten Beiträge erweitern das Spektrum für regional übergreifende Vergleiche von städtischen Katastrophen. Etwas verwirrend bleibt freilich die Reihenfolge, die weder thematisch noch örtlich einen Gesamtduktus erkennen lässt.

Christian Rohr