Jan Dumolyn / Jelle Haemers, Communes and Conflict: Urban Rebellion in Late Medieval Flanders, ed. by Andrew Murray / Joannes van den Maagdenberg (Historical Materialism Book Series 289) Leiden / Boston 2023, Brill, XVI u. 470 S., ISBN 978-90-04-67791-3, EUR 170. – In diesem Buch finden wir den einzigartigen Niederschlag von 25 Jahren Forschung über Aufstände in spätma. flämischen Städten. Nach ihren Dissertationen über Aufstände in Brügge (1436–1438) und Gent (1449–1453) setzten D. und H., inzwischen Professoren in Gent bzw. Leuven, ihre Forschungen unermüdlich fort. Manchmal publizierten sie ihre Forschungsergebnisse einzeln, oft arbeiteten sie aber auch fruchtbar zusammen. Dies führte zu einer ungewöhnlich hohen Zahl, insgesamt 22, gemeinsamer Artikel in Zeitschriften und Sammelbänden, von denen fünf in diesem Band enthalten sind, ergänzt durch fünf Arbeiten von D. und drei von H., die alle zwischen 2000 und 2017 veröffentlicht wurden. Komplementiert wird dies durch zwei Einleitungen, die erste von den beiden Vf., die auf ihre Arbeit und Zusammenarbeit zurückblicken, und die zweite von M., der einen Überblick über ihre Arbeit gibt. Zwei Artikel wurden von M. eigens für dieses Buch übersetzt, die anderen waren, anders als in der Einleitung suggeriert, bereits leicht zugänglich. Der große Vorteil ist natürlich, dass sie nun zusammen vorliegen und verglichen werden können. Beide Vf. legen ihre Inspirationsquellen offen, die von belgischen Größen wie Pirenne, Prevenier, Blockmans und Boone bis hin zu nicht-belgischen Autoren wie Tilly, Genet, Weber, Mollat und Wolff reichen. Das Buch ist Teil der Reihe „Historischer Materialismus“. D. / H., geben zu, dass sie sich zwar von einer undogmatischen Anwendung dieses Ansatzes inspirieren lassen, dass dies aber nicht zur Verwendung eines Zwangsmodells oder zur Einschränkung durch einen Fachjargon führen solle. Ihr Ziel war „a quest ... for novel ways to study the phenomenon of medieval urban revolt“ (S. IX). Der Fokus liegt dabei fast ausschließlich auf Flandern, das außerordentlich urbanisiert und wirtschaftlich entwickelt war und sich daher ihrer Meinung nach hervorragend als „laboratory of political change“ (ebd.) eignete. Damit wollen sie sich aber gerade von der alten Geschichtsschreibung der nationalen Einzigartigkeit distanzieren und orientieren sich dabei an den Arbeiten von Cohn, Watts, Lantscher und Liddy. Bemerkenswerterweise beschränken sie ihren Bezugsrahmen vor allem auf Frankreich und England, was sich auch in ihrer Danksagungsreihe widerspiegelt. Der deutschsprachige Raum und die nördlichen Niederlande werden weitgehend ausgeklammert. Die Innovation liegt in der unterschiedlichen Nutzung traditioneller Quellen und der Anwendung vieler anderer Fragen und Ansätze, bei denen man die sozialwissenschaftlichen ‘Moden’ der letzten Jahrzehnte vorbeiziehen sehen kann. Große Aufmerksamkeit gilt der Bedeutung des städtischen Raums, den Ritualen, der ‘linguistic performance’, der Memoria, dem Klang, den Emotionen, den ‘sign systems’, den Liedern und Gedichten. Bezeichnend dafür ist der Fokus auf die ‘aurality’, wo Pamphlete und Texte ebenso wie Geschichten nacherzählt werden und ihrerseits die Grundlage für das soziale Gedächtnis und die Inspiration für neuen Widerstand bilden. Das Gleiche gilt für ihre Idee einer „Archäologie“ der bekannten Quellen, die nach der verlorenen Stimme der unterlegenen Gruppe sucht, die sich aus allen möglichen Aussagen oder Vorwürfen und Motivationen der Gegner noch teilweise rekonstruieren lässt (S. 174). Allerlei schöne Ideen wie der Einfluss der Bettelorden harren noch der weiteren Ausarbeitung. Der Nachteil eines solchen Bandes ist, dass er viele Wiederholungen enthält und es unklar ist, ob die Vf. etwas seitdem anders sehen (S. IX und XIII). Dennoch lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass ihre Arbeit das urbane Flandern zur bestbekannten Region mit Rebellionen macht, mit der größten Streuung der verwendeten Quellen und Perspektiven. Die Literaturhinweise sind ebenso zahlreich wie die sozialtheoretische Fundierung gründlich. Der Beitrag über Patterns of Urban Rebellion (S. 11–39) ist nach wie vor eine unverzichtbare Einführung in das Thema. Auch die Beiträge zu Social Memory, den Sign Systems, zu Political Poetry und Subversive Speach gehören zu den Klassikern. Dennoch ist es schade, dass die Vf. bei all ihrem Wissen kein neues Überblickswerk über Flandern verfasst haben, in dem sie ihre Erkenntnisse mit denen etwa von Samuel Cohn oder Patrick Lantschner hätten vergleichen können. Mit mehr Aufmerksamkeit für den ländlichen Raum wäre dann vielleicht auch klarer geworden, ob das so verstädterte Flandern nicht eine Ausnahmestellung einnimmt und deshalb gerade nicht „der geeignetste Ort“ zur Erforschung der Thematik ist. Die aus der Geschichtsschreibung bekannte „große“ und „kleine Tradition“ der Rebellion hätte also durch eine „lange Tradition“ ergänzt werden können, die vom 12. bis zum 17./18. Jh. führt. Dabei hätte auch ein weiterer Punkt beleuchtet werden können: Mal arbeiten D./H. mit einer Dichotomie der städtischen Bevölkerung, mal ist von einer „Mittelschicht“ die Rede, der die Zunftmeister und etablierten Fachleute angehört hätten (z. B. S. 173 gegen S. 187 und 222). Bemerkenswert ist auch, dass die Abwesenheit von Frauen in den flämischen Aufständen nicht thematisiert wird und die Genderfrage insgesamt unberücksichtigt bleibt (nur auf S. 265 eine Zeile), während anderswo, wie etwa in Utrecht, Frauen oft eine tragende Rolle spielten oder sogar die Initiative ergriffen (z. B. 1522 und 1577). Hatten Frauen nicht im Gegenteil weniger Repressionen zu befürchten als Männer?
Bram van den Hoven van Genderen