Wir Schwestern. Die vergessenen Chorfrauen von Klosterneuburg. Begleitband zur Ausstellung im Stift Klosterneuburg von 26. April bis 15. November 2024, hg. von Eva Schlotheuber / Jeffrey F. Hamburger / Christina Jackel, Wien 2024, Böhlau / Edition Stift Klosterneuburg, 340 S., Abb., ISBN 978-3-205-22065-7, EUR 35. – Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde das Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg (bei Wien) 1114 als Ergebnis lokaler Reformbestrebungen von Markgraf Leopold III. von Österreich und seiner Ehefrau Agnes als Doppelkloster gegründet. 1568, gut 450 Jahre später, wurde das Frauenkloster aufgelöst, das Männerkloster besteht nach wie vor. Der Begleitband zu der Ausstellung über die ‘vergessenen’ Chorfrauen von Klosterneuburg enthält 78 ergiebige und bebilderte Exponatbeschreibungen (Urkunden, Hss., liturgische Geräte, Gemälde, Skulpturen, Kunsthandwerk), die zum Teil aus der Zeit nach 1568 stammen oder nur mittelbar auf die Chorfrauen von Klosterneuburg und ihre Geschichte bezogen werden können. Vor allem die Beschreibungen der Hss. enthalten vieles über den Alltag, den Glauben und Liturgie der Chorfrauen, besonders in ihrem Verhältnis zu den Chorherren von Klosterneuburg. Neben dem in fünf thematische Blöcke aufgeteilten Katalogteil enthält der gut gestaltete Band 15 über die fünf Blöcke verteilte kurze Aufsätze. Der Block „Doppelklöster“ (S. 43–119) belehrt darüber, dass viele Klöster auf dem Gebiet des heutigen Niederösterreich bis 1300 als Doppelkloster gegründet wurden. Die interne Organisation von Klosterneuburg als Doppelkloster wird gut dargestellt. An der Spitze stand der Propst des Männerklosters; das Verhältnis zur Meisterin des Frauenklosters wurde immer wieder den geistigen und materiellen Gegebenheiten angepasst. Der Block „Eintritt und Bildung“ (S. 121–165) macht mit dem geistigen und intellektuellen Leben der Chorfrauen in Klosterneuburg vertraut. Hervorzuheben ist, dass die Chorfrauen eine eigene Mädchenschule betrieben, die Einkünfte generierte. Nach der Auflösung des Frauenklosters gelangten die Hss. in die Bibliothek des Männerklosters. Überraschend ist die Feststellung, dass nur wenige Codices dem Frauenkloster zugeordnet werden können. Der Begriff ‘Reform’ wird hier leider verkürzt behandelt. Es geht um weit mehr als Visitationen und die Einführung neuer Statuten. Der dritte Block „Cura animarum: Liturgie und Tagesablauf“ (S. 167–237) lehrt, dass die Chorfrauen weitgehend autonom waren bei der Durchführung des Chorgebets und dass sich dieser Teil der Liturgie unabhängig vom Männerkloster entwickelte. Die Vermutung, dass einzelne Chorfrauen liturgische Gesänge selber komponiert hätten, ist gar nicht abwegig. Für die Messe, Segnungen und andere Aufgaben kam der custos dominarum aus dem Männerkloster zu den Chorfrauen. Während Prozessionen ‘besuchten’ sich die beiden Klosterhälften gegenseitig, eine Vorgehensweise, die nicht von allen Zeitgenossen geschätzt wurde. Der Block „Cura corporum“ (S. 239–275) behandelt sehr knapp Gesundheit und Heilkunde bei den Chorfrauen (nicht nur die Frauenheilkunde) sowie die Versorgung des Klosters mit Speisen und Getränken und die Verwaltung der landwirtschaftlichen Güter anhand von Archivalien. Der letzte Block „Heiligenhimmel“ (S. 277–315) behandelt die Verehrung von Heiligen durch die Chorfrauen. Auch hier gab es neben der Abhängigkeit vom Männerkloster auch erhebliche Freiräume für die Chorfrauen. Wieder sind es die liturgischen Hss., die das belegen. Enigmatisch ist die Verehrung der heiligen Maria Magdalena als Nebenpatronin des Frauenklosters in Quellen, die nach 1568 entstanden sind. Ganz so vergessen, wie der Untertitel es zum Ausdruck bringt, waren die Chorfrauen von Klosterneuburg nicht. Dennoch: Ein gelungenes Buch.
Eef Overgaauw